Wege im Sand
Freundinnen. Sie wuchsen mehr oder weniger in Hubbard’s Point auf. Deshalb sind mein Dad und ich hier. Wegen der glückliche Zeiten, die sie hier verbracht haben.«
»Du bist mit deinem Dad hier?« Peggy kniff die Augen zusammen, die unausgesprochene Frage Was ist mit deiner Mom? stand zwischen ihnen.
»Ja.« Nells Schultern sackten noch ein wenig mehr nach vorne. Sie fühlte sich außerstande, die Worte auszusprechen: Meine Mom ist tot.
»Du vermisst deine Mom«, stellte Peggy fest.
Nell hob den Blick. Wie konnte sie das wissen?
»Ich vermisse meinen Dad«, erklärte Peggy. »Ich konnte es dir ansehen … dachte ich zumindest. Und als du sagtest, dass du mit deinem Dad alleine hier bist, war ich mir sicher … Blöd von mir, oder?«
»Nein, finde ich super.«
Die Mädchen saßen am Rand ihrer Handtücher, die Köpfe so dicht beisammen, dass sich Nells Gesicht im Schatten von Peggys Sonnenhut befand. Der Sand war warm; sie gruben ihre Füße tief hinein, bis zu der kühlen, feuchten Schicht. Nell wünschte, sie hätten für den Rest des Tages so sitzen bleiben können. Doch in ebendiesem Moment fiel ein langer Schatten über ihre Handtücher, und sie sah hoch – in das sommersprossige Gesicht eines Jungen, der große Ähnlichkeit mit Peggy besaß.
»Hallo, du Wichtigtuerin«, sagte er.
»Billy – wo ist der Vogel?«
»Ich habe ihn dort oben gelassen.« Er deutete auf die Cottages auf dem Felsenhügel – auf das Ehemals-Blaue-Haus. Nell lief ein Schauder über den Rücken, als sie an Stevie dachte.
»Doch nicht bei der Hexe!«, schalt ihn Peggy. »Hast du den Verstand verloren? Sie rupft ihm die Federn aus, um sich einen Hut oder Umhang oder was weiß ich daraus zu machen! Krähen sind schwarz, kapiert?«
In Nell regten sich erste Zweifel bezüglich ihrer neuen Freundin. Sie schickte sich an, Stevie zu verteidigen, aber der Junge – so wie er aussah und sich verhielt, musste er Peggys Bruder sein – kam ihr zuvor.
»Ich glaube nicht«, sagte er. »Sie ist nicht der Typ, der Federn ausreißt. Sie kommt mir ziemlich … niedergeschlagen vor. Eugene hat ihr nachspioniert, durch ihr Fenster gespäht. Und er hat gesehen, dass sie weinte. Mutterseelenallein, am helllichten Vormittag. Merkwürdig.«
»Niedergeschlagen?«, sagte Nell. Sie wusste, dass sie auf Seelenverwandte gestoßen war: Dieses Wort war auch Teil ihres eigenen Vokabulars.
»Ja«, antwortete der Junge. »Und wer bist du?«
»Nell Kilvert.«
»Nell, das ist mein Bruder Billy«, sagte Peggy. »Das klingt aber ganz nach Hexe – an einem Sommertag weinen. Entschuldigt, aber das finde ich wirklich sonderbar.«
»Vielleicht ist jemand gestorben, der ihr nahe stand«, meinte Nell.
Peggy und ihr Bruder blickten sie stumm an, als sei sie von allen guten Geistern verlassen. Billy zuckte die Schultern und machte sich wieder auf den Weg am Strand entlang.
Peggy beschloss, die ganze Sache mit einem Lachen abzutun. »Hah! Vielleicht ihre schwarze Katze oder ihr Wassermolch. Vielleicht lässt sie sich wieder scheiden, zum fünfzehnten Mal. Oder sie hat wieder einen Ring mit einem großen Diamanten verloren …«
»Sie ist etwas ganz Besonderes«, erklärte Nell.
»Das will sie dir weismachen. Um dich ins Haus zu locken!«
»Ich glaube nicht, dass ihr daran liegt, jemanden ins Haus zu locken. Auf ihrem Grundstück steht ein Schild: ›Betreten verboten‹.«
Peggy runzelte die Stirn – Nell hatte sie mit ihren Argumenten in die Enge getrieben.
»Meine Mutter, meine Tante und sie standen sich sehr nahe. Sie hatten sogar einen besonderen Namen für sich. Ich dachte … wir könnten uns genauso nennen!«
»Wie denn?«
»Beachgirls.«
Peggy zog die Nase kraus, blinzelte in die Sonne. Ihr Blick schweifte zur Felsenspitze hinauf, zu dem Ehemals-Blauen-Haus. Nell konnte beinahe ihre Gedanken lesen: Sie hatte schwarze Magie und Kristallkugeln und spitze schwarze Hüte gesehen, aber diese Vorstellungen wurden nun durch Bilder von Strandbällen, bunten Handtüchern und blauen Badeanzügen verdrängt. Nell lächelte.
»Hexen sind keine Beachgirls«, sagte Peggy zweifelnd.
»Und Beachgirls sind keine Hexen«, konterte Nell, während Peggy nachdenklich die Stirn runzelte.
In dem Augenblick eilte Laurel von ihrem Wasserwacht-Stuhl herbei, wo sie sich mit ihren Freunden unterhalten hatte, und klatschte in die Hände.
»So, und jetzt alle ins Wasser, für unsere letzte Übung – zehn Minuten lang Wasser treten! Sucht eure
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