Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
was ich wollte. Er zog mich groß und brachte mir bei, unabhängig zu sein, an mich zu glauben, aber alles zu hinterfragen. Er sagte: ›Stevie, Maler betrachten das, was ist, was sie sehen können, und malen es. Dichter vertrauen niemals solchen Äußerlichkeiten. Sie lernen, einen Blick hinter die Fassade zu werfen und darauf zu vertrauen, was sie nicht sehen können.‹«
    »Was sie nicht sehen können …«
    »Kevin war nach außen hin ein attraktiver, brillanter Maler. Erst Jahre später, während unserer Ehe, warf ich einen Blick hinter die Fassade … und sah einen Mann, der mit sich selbst haderte und anderen den Erfolg neidete. Er war verbittert. Bei jeder Ausstellung eines Klassenkameraden ließ er boshafte Bemerkungen vom Stapel, dass er käuflich sei, sich dem Geschmack der Kunstsammler beuge. Er hasste sie. Und dann fing ich an, Kinderbücher zu schreiben …«
    »Mit großem Erfolg.«
    »Was zur Folge hatte, dass er auch mich zu hassen begann. Es war schwer, mit ihm zu leben.« Stevie sah mit angespanntem Blick aufs Meer hinaus. »Dann fand ich Tilly – eine New Yorker Straßenkatze, gerade erst zur Welt gekommen, in der schmalen Gasse hinter unserem Wohngebäude. Sie war mir ein großer Trost – mein Mann kapselte sich völlig ab, sprach kaum mit mir. Wir schliefen nicht mehr miteinander. Aber ich hatte Tilly.«
    »Und ihre bedingungslose Liebe.«
    »Du sagst es. Ständig gingen mir die Worte meines Vaters durch den Kopf … ich blickte immer noch nicht nach innen – hinter die Fassade. Ich wusste, wie glücklich mich die Liebe in meiner Kindheit gemacht hatte und dass die Liebe zu einer Katze nicht ausreichte, deshalb suchte ich so verbissen danach. Eines Tages besuchte ich eine Vorlesung in Woods Hole, und dort begegnete ich Linus.«
    »Linus?«
    »Mein zweiter Mann. Ich verließ Kevin seinetwegen. Kevin hing inzwischen an der Flasche. Keine Ahnung, ob er die Trennung überhaupt bemerkte.«
    Madeleine nippte an ihrem Champagner. Hing an der Flasche, das traf auf sie nicht zu. Sie nahm abermals einen Schluck.
    »Linus war Ornithologe. Gebürtiger Engländer, klug und interessant. Er hatte einen Sohn aus erster Ehe – es machte mir Spaß, Stiefmutter zu sein. Ich dachte, nun hätte ich mein Glück gefunden. Linus reiste oft, mit verschiedenen Vogelarten im Gepäck, die in England ein- oder von dort ausgeführt wurden; er kannte sämtliche Zollinspektoren – und schaffte es irgendwie, die Quarantäne zu umgehen, die bei Haustieren vorgeschrieben war. Er meinte, ich solle mir wegen Tilly keine Sorgen machen, die Inspektoren würden ein Auge zudrücken. Und so war es, wir brachten sie problemlos durch den Zoll.«
    »Grund genug, den Mann zu lieben!«
    Stevie lachte. »Genau. Wir lebten in Oxford, in einem Steinhaus gegenüber einer mittelalterlichen Kirche. Sein Sohn wohnte in London, aber er kam an den Wochenenden und in den Ferien zu Besuch. Ich hatte eine ungeheuer kreative Phase – ein Bild nach dem anderen entstand; außerdem verkaufte ich in der Zeit die Filmrechte für Rote Wanderdrossel … und wünschte mir ein Kind …«
    »Wirklich? Ich auch …«
    »Und, hast du Kinder?«
    Madeleine schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wurde nicht schwanger. Wir versuchten es jahrelang, ließen uns sogar auf zwei Runden künstliche Befruchtung ein. Fehlanzeige. Das war nicht weiter schlimm, denn ich hatte …« Sie verstummte, unfähig, das Wort »Nell« über die Lippen zu bringen. Stevie ließ ihr Zeit, aber Madeleine zuckte nur die Achseln und lächelte. »Ich hatte Chris.«
    »Ich wurde schwanger«, sagte Stevie. Ihre Stimme klang gelassen, aber ihre Wangen färbten sich rosarot.
    »Du hast ein Kind?«
    »Nein. Ich hatte eine Fehlgeburt …«
    »Oh, Stevie. Das tut mir Leid.«
    Stevie schloss die Augen. »Ich hätte nie gedacht, wie furchtbar das sein kann. Wenn ich früher etwas über Frauen hörte, denen das widerfuhr, dachte ich: ›Was soll das Theater, dann probiert es eben weiter.‹ Oder: ›Das ist ein Fötus und kein richtiges Kind, das man verliert.‹ Aber das war ein Trugschluss. Es ist ein richtiges Kind.«
    »In welchem Monat warst du?«
    »Im dritten. Ich hatte es gerade meinem Vater und meiner Tante erzählt. Es war ein Mädchen.«
    »Ein Mädchen …« Wie Nell. »Und dann?«
    »Ich war völlig außer mir. Ich wollte ihr einen Namen geben, sie beerdigen. Linus weigerte sich. Er fand mein Verhalten lächerlich. Er betrachtete das Ganze rein wissenschaftlich,

Weitere Kostenlose Bücher