Wege zu einem humanen, selbstbestimmten Sterben
moralisch heiklen Gebieten
wie der Sexualität oder dem Sterben haben Menschen oft ihre Abhängigkeit von
der Bereitschaft des Arztes erlebt, bestimmte Medikamente zu verschreiben.
Manchmal entwickelt sich erst allmählich ein Interesse an bestimmten
Medikamenten, und man beginnt nach Wegen zu suchen, wie man das gewünschte
Mittel bekommen kann. Meistens erfährt man von anderen, wie und wo das eine
oder andere Mittel erhältlich ist.
In den Niederlanden wurde in
den Jahren 1999 bis 2003 untersucht, wie Menschen die Mittel für einen in
eigener Regie durchgeführten Freitod gesammelt haben. 27
Die Beschaffung der tödlichen
Mittel in den Niederlanden (78 Fälle in der Periode 1999-2003) 8
Vom Arzt/Apotheker im Ausland 35%
Vom Arzt, der über die Absicht
des Patienten Bescheid wusste 22%
Von Freunden oder Verwandten 16%
Auf dem Schwarzmarkt, im Internet
oder mit gefälschtem Rezept 11 %
Unbekannt 16%
Es hat sich herausgestellt,
dass im untersuchten Zeitraum die Mittel häufiger bei einem Arzt oder Apotheker
im Ausland beschafft wurden als übers Internet. Das liegt daran, dass vor allem
ältere Menschen an der Beschaffung dieser Mittel interessiert sind. Sie sind
zwar reisefreudig, jedoch seltener im Internet unterwegs.
Wie aus der Tabelle ablesbar,
war in einem von fünf Fällen ein behandelnder Arzt bereit, tödliche Mittel in
kleinen Dosen zu verschreiben. Aus den Untersuchungen geht hervor, dass die
Ärzte in ausweglosen Fällen, in denen der Patient die Medikamente unmöglich
selbst sammeln kann, dazu bereit sind. Ärzte leisten in diesen Fällen keine
offene Hilfe und übernehmen keine Verantwortung für das Gelingen. Sie kennen
meistens auch nicht den Zeitpunkt der Selbsttötung und sind während der
Durchführung nicht anwesend. Der Tod wird von ihnen dann manchmal als natürlich
und manchmal als Freitod gemeldet. Nur wenige Ärzte trauen sich, über ihr
Handeln in diesen schwierigen Situationen Auskunft zu geben, mit dem Ergebnis,
dass diese Praxis verborgen bleibt.
Solange jemand in der Lage ist,
innerhalb von Europa zu reisen, ist es nicht notwendig, Ausreden zu erfinden,
um tödliche Kombinationen von Medikamenten zu sammeln. Das hängt mit dem Gesetz
zur Abgabe von Medikamenten zusammen, das innerhalb der EU von Land zu Land
verschieden ist. In den Niederlanden, in Deutschland und in der Schweiz gibt es
Gesetze, die Apotheken dazu verpflichten, viele der hier besprochenen
Medikamente ausschließlich auf Rezept abzugeben. Das Medikamentenabgabe-Gesetz
wird in manchen Ländern der EU weniger streng eingehalten als in Deutschland.
In vielen Dritte-Welt-Ländern gibt es kaum Gesetze, die den freien Verkauf von
Medikamenten beschränken.
In verschiedenen europäischen
Ländern verkaufen offensichtlich manche Apotheken Medikamente an Touristen,
wenn diese den richtigen Namen kennen, unter dem das Mittel in dem
entsprechenden Land bekannt ist. Über die in Kapitel 4 besprochenen Medikamente
wurde uns berichtet, dass Chloroquin und Antidepressiva in Süd- und Osteuropa
nicht selten rezeptfrei verkauft werden. Auch Diazepam oder Flurazepam (lang
wirkende Benzodiazepine) sind dort ohne Rezept zu bekommen. Es wird selten
nachgefragt, wofür jemand diese Medikamente verwenden will. Manchmal wird auch
Dextropropoxyphen (siehe Kapitel 4.1) ohne Rezept an Touristen verkauft.
Offensichtlich ‚shoppen’ manche Menschen von einer Apotheke zur nächsten, bis
sie alles zusammen haben.
Das ist nichts Neues auf
Gebieten, die im Allgemeinen zur Privatsphäre des Menschen gehören (Sexualität
und Sterben). Bei sorgfältig vorbereitetem Sterben wird eben nur selten offen
darüber gesprochen, wie man sich die nötigen Mittel beschafft hat. Das steht in
deutlichem Gegensatz zu der Beschaffung von Mitteln, die möglicherweise das
erotische Erleben fördern oder die Fortpflanzung regulieren. Darüber sprechen
viele Menschen in modernen Gesellschaften offen, nicht nur in der Schule oder
auf der Straße, sondern auch in den Medien.
Es folgen einige Beispiele: Es
wurde uns berichtet, dass man als Tourist die gewünschten Medikamente erhielt,
indem man einen Zettel vorzeigte, auf dem der Handelsname stand, unter dem das
Mittel bekannt ist. Dazu hatte man die Milligramm pro Tablette notiert und die
gewünschte (kleine) Menge. Der Apotheker, dem man den Zettel vorlegte, hatte
die Medikamente oft nicht vorrätig. Er bestellte sie jedoch beim Großhandel und
man konnte am Tag darauf die Mittel abholen. Unsere
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