Wehe Dem, Der Boeses Tut
mir und Ihnen Klarheit zu verschaffen. Rufen Sie mich an, wenn Ihr Privatdetektiv sich bei Ihnen gemeldet hat.«
»Woher wissen Sie …?«
»Das liegt doch auf der Hand.« Sie lehnte sich zurück und musterte ihn kalt. »Ich an Ihrer Stelle täte wohl dasselbe.«
»Sie riskieren, am Ende dieser ganzen Sache mit leeren Händen dazustehen.«
»Das ist nun wirklich nichts Neues.« Sie sah ihm fest in die Augen. Er blinzelte und betrachtete dann scheinbar höchst interessiert sein halb leeres Glas. »Ich muss einfach die Wahrheit wissen, Nelson. Sie als Pflichtverteidiger sollten doch eigentlich selbst stets die Wahrheitsfindung im Sinn haben.«
Er nahm rasch einen Schluck Scotch. Adria stellte insgeheim fest, dass er von allen Danvers-Kindern die stärkste Ähnlichkeit mit seinem Vater hatte. Witt war größer und kräftiger gewesen, doch er hatte die gleichen erstaunlich blauen Augen, die gerade, aristokratische Nase, das dichte Haar, das kantige Kinn. Allerdings beschränkte sich die Ähnlichkeit auf Äußerliches. Charakterlich war Nelson offenbar völlig anders geschlagen als Witt – oder zumindest anders, als sie sich Witt aufgrund all der Artikel und Berichte und der Bilder in den Zeitungen vorstellte. Witt Danvers war eine imposante Erscheinung gewesen, skrupellos und brutal. Nelson schien von sanfterem Wesen zu sein, wofür Witt, wie Adria vermutete, kaum Verständnis aufgebracht haben dürfte. Was an Zärtlichkeit in seiner schwarzen Seele dahinkümmerte, hatte er einzig und allein seinem jüngsten Kind zukommen lassen: London. Seinem kleinen Schatz.
Plötzlich empfand sie ein erstaunliches Mitgefühl für den Mann, der ihr gegenübersaß. Witts Kinder litten allesamt an emotionalen Verletzungen, die vielleicht nie heilten. Doch wenn sie sich jetzt von ihren Gefühlen leiten ließ, würde sie niemals ihr Ziel erreichen. »Und wenn sich herausstellt, dass ich tatsächlich London bin?«, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch. »Was würden Sie dann tun?«
»Ich weiß nicht – ich kann es unmöglich auch nur in Betracht ziehen. Sie ist schon viel zu lange tot … Jedenfalls für mich. Für uns. Die Familie.«
»Wenn sich aber herausstellt, dass ich tatsächlich die liebe kleine London bin, werden Sie Tag für Tag mit mir umgehen und mich in allen geschäftlichen Belangen der Familie berücksichtigen müssen, nicht wahr?«
»Ich arbeite nicht für die Firma.«
»Sie sitzen im Vorstand. Sie sind nicht aktiv, aber Sie sind beteiligt, Sie und Ihre Schwester, auch wenn Jason die Fäden zieht.« Als er nichts erwiderte, fuhr Adria entschlossen fort: »Wissen Sie, ich könnte sogar hilfreich für Sie sein. Ich habe irgendwo gelesen, dass Sie gern in die Politik gehen möchten. Wenn Sie mir bei meiner Suche nach der Wahrheit zur Seite stünden, würde sich das für Sie doch sicher positiv auswirken, nicht wahr?« Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Die Schlagzeilen könnten Ihr Image ungemein heben – was Ihnen letztendlich an den Wahlurnen bestimmt nicht schaden würde. Ich sehe es geradezu vor mir: ›Danvers-Bruder findet verschollene Schwester‹, oder: ›Nelson Danvers identifiziert Frau als seine Halbschwester. Wahlkandidat findet verschollene Verwandte.‹ Und so weiter und so fort.«
Nelsons Blick war wachsam.
»Andererseits«, sagte Adria und zuckte mit einer Schulter, »könnte ich, wenn ich tatsächlich London sein sollte, Ihnen ganz ordentlich Knüppel zwischen die Beine werfen. Sie rechnen doch sicher mit Ihrem Anteil am Erbe.« Sie schnalzte mit der Zunge, doch insgeheim fragte sie sich, was dieser Mann nur an sich hatte, dass sie plötzlich an sich selbst zu zweifeln begann.
»Wissen Sie, Adria, ich bin in der Hoffnung hergekommen, dass wir eine Regelung finden. Ich habe es nicht nötig, mir drohen zu lassen.«
»Ich bin froh, dass Sie das zur Sprache bringen, denn mir geht es genauso.« Sie griff in ihre Handtasche, suchte die Drohbotschaften heraus und legte sie auf den Tisch. »Jemand schickt mir Briefe und … Geschenke, sozusagen.«
Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. »Wer hat Ihnen das geschickt?«
»Ich weiß es nicht. Wie Sie sehen, sind die Nachrichten nicht unterschrieben. Das Markenzeichen eines echten Feiglings.«
»Wie haben Sie sie bekommen? Wurden sie abgegeben?«, fragte Nelson sichtlich nervös.
»Einer lag plötzlich auf meinem Schreibtisch. Der andere, eine eklige kleine Überraschung, wurde an der Rezeption hinterlegt. Es wissen nicht viele, dass ich
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