Wehe Dem, Der Boeses Tut
dann schnellstens das Weite suchen würde, doch in Adria steckte mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Und das machte ihm Angst.
Er rückte seinen Kragen zurecht und sah flüchtig sein Bild in dem geschliffenen Spiegel über dem Bartresen. Dabei fing er einen verhangenen Blick auf und der Gaumen wurde ihm trocken. Leidenschaft lag in diesem Blick – ungezügelte, sexuelle Energie, die ihm mit solcher Macht entgegenschlug, dass es ihm den Atem raubte. Er spürte diese finstere Regung, die er seit Jahren leugnen wollte, erwiderte den fremden Blick sekundenlang und machte dann auf dem Absatz kehrt. Er hatte keine Zeit für einen One-Night-Stand. Außerdem war das viel zu gefährlich. Er musste an seine Karriere denken, und er durfte nicht für eine Zunge, die nass an seinem Rückgrat entlangfuhr, dem düsteren Verlangen nachgeben, das sein Fluch war, seit er angefangen hatte, sich für Sex zu interessieren. Eine einzige Nacht konnte seine gesamte Zukunft gefährden. Jetzt mehr denn je.
Er ignorierte die Glut, die sich in seinen Lenden ausbreitete und ihm den Schweiß auf die Oberlippe trieb, verließ die Bar und stapfte entschlossen durch den kalten Oktoberwind. Eilig, bevor er seinen sexuellen Dämonen erlag und umkehrte, um den sinnlichen Fremden zu treffen, lief er die paar Straßenblocks zum Hotel Danvers, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Ohne eine Sekunde lang zu zögern, rief er über das Handy in seinem Cadillac Jason an. »Ich habe mich gerade mit Adria getroffen«, sagte er und sah sich unwillkürlich um, als erwartete er, dass jemand – vielleicht der potenzielle One-Night-Stand – durch die Scheibe zu ihm hineinspähte. »Ich bin jetzt auf dem Weg zu dir.«
»Großartig!« Jason knallte den Hörer auf die Gabel und ließ den Kopf kreisen, um die Verspannungen in seinem Nacken zu lockern. Es war ein aufreibender Tag gewesen. Er hatte beinahe ununterbrochen in Konferenzen gesessen, war jedoch mit seinen Gedanken nicht bei den Geschäften. Stattdessen hatte er nicht aufhören können, an Adria zu denken.
Wie konnte die Familie sich ihrer entledigen? Sie hatte etwas an sich, das sein Blut in Wallung brachte, und er stellte sich gern vor, sie entweder bewusstlos zu schlagen oder mit ihr zu schlafen oder beides. Er bekam eine Erektion, wenn er nur daran dachte, sie aufs Bett zu stoßen und sie zu ficken, wie sie es noch nie erlebt hatte. »Reiß dich zusammen«, ermahnte er sich selbst. Schon der Gedanke an ein sexuelles Intermezzo mit ihr war lächerlich – und zugleich vielsagend in Anbetracht der Tatsache, dass sie ihn so sehr an Kat erinnerte. Das schlechte Gewissen, sein ständiger Begleiter, machte ihm zu schaffen.
Er wartete auf einen Anruf von Sweeny, außerdem hatte er bereits einen Streit mit Kim hinter sich, die ihn drängte, sich endlich scheiden zu lassen, wie er es ihr dummerweise versprochen hatte. Diese zusätzliche Belastung konnte er wahrhaftig nicht brauchen – und jetzt verlor auch noch Nelson den Verstand. Der Kleine stand wegen dieser Adria-London-Geschichte am Rande des Nervenzusammenbruchs, und dabei war er sonst kaum aus der Ruhe zu bringen. Jason sah auf die Uhr und furchte die Stirn. »Mach schon, Sweeny«, murmelte er, schenkte sich noch einen Drink ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter.
Zehn Minuten später klingelte das Telefon. Jason hob beim zweiten Läuten ab und vernahm Sweenys nasale Stimme. »Ich habe in diesem Scheißkaff jeden Stein umgedreht«, verkündete Oswald, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Unsere Freundin, Ms Nash, ist offenbar eine überaus fleißige Frau. Nachdem sie die Videokassette ihres Vaters gefunden hatte, hat sie sämtliche Bibliotheken des Landes nach Büchern über das Holz- und Hotelgewerbe sowie über Transportunternehmen und das Immobilienwesen abgegrast.«
Jason verkrampfte sich. Danvers International. »Sie hat also ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Weiß Gott, ja. Sie hat sogar Bücher aus anderen Bibliotheken überall im Nordwesten bestellt, und aus Seattle, Portland, Oregon City sogar auch Zeitungen. Die Dame war wirklich emsig.«
Jason wurde flau im Magen. Er hatte gehofft, sie möge ein Dummchen sein, eine Betrügerin unterster Kategorie, die nichts als das schnelle Geld wollte.
Sweeny war noch nicht fertig mit den schlechten Nachrichten. »Und vergessen Sie bitte nicht, dass sie ihren College-Abschluss mit Auszeichnung gemacht hat. Summa cum laude.«
»Herrgott noch mal!«
»Sie haben es da
Weitere Kostenlose Bücher