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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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sein Magen nicht länger, und seine Hände hörten auf zu zittern. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben dankte er allen himmlischen Mächten für die Wunder der modernen Medizin im Allgemeinen und Benzodiazepin im Besonderen.
    Als der Zug die Bronx erreichte, stand er auf, wartete kurz, bis das Schwindelgefühl sich legte und folgte dann den anderen Aussteigenden hinaus in die Nachmittagssonne. Die Meteorologen hatten für dieses Jahr einen früh einsetzenden Herbst vorausgesagt und tatsächlich wirkten die Blätter an den Bäumen bereits leicht bräunlich in der sanften Brise des sterbenden Sommers.
    Zusammen mit Detective Butts erwartete Chuck ihn schon in seinem Büro, als Lee dort eintraf. Elena Krieger war nicht anwesend.
    Chuck bemerkte den fragenden Blick seines Freundes. »Wir haben versucht, Detective Krieger zu erreichen, aber ohne Erfolg.«
    Butts grinste. »Wir haben es allerdings nicht besonders hartnäckig versucht.«
    »Also schön.« Chuck ignorierte Butts’ Bemerkung. Er griff nach einem neuen Stapel Tatortfotos auf seinem Schreibtisch. »Das kam vor zwei Stunden rein.«
    Lee nahm die Bilder und schaute sich das oberste an. Als er das Gesicht der jungen Frau sah, wurde ihm schwindelig, und alles um ihn herum schien sich zu drehen. Er wollte etwas sagen, aber bevor er ein Wort herausbrachte, wurde ihm schwarz vor Augen, und er verlor das Bewusstsein.

KAPITEL 10
    Als Lee wieder zu sich kam, hatten Chuck und Butts sich über ihn gebeugt und schauten ihn besorgt an. Lee war das unangenehm, weil Chuck so erschrocken aussah. Der Freund mit seiner hellen Haut wirkte jetzt noch blasser als sonst. Mühsam versuchte Lee auf die Füße zu kommen, doch Chuck legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Hey, immer langsam. Hol erst mal tief Luft.«
    »Sie sind eben ohnmächtig gewesen«, erklärte Butts.
    »Mir geht es gut«, versicherte Lee. Er lehnte mit dem Rücken an der Heizung, vor die ihn die beiden Männer getragen hatten.
    »Hier.« Chuck schob ihm seinen alten, aber bequemen Chefsessel hin.
    »Danke«, sagte Lee und stand schwankend auf. »Wie lange war ich weg?«
    »Ein, zwei Minuten«, sagte Chuck. »Was ist denn los?«
    Lee spürte, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Morgens hatte er einen schwarzen Kaffee getrunken, war dann hierher ins Büro gefahren, und seit der Depressionsschub eingesetzt hatte, verursachte ihm allein der Gedanke an Essen schon Übelkeit. Nicht zu vergessen das Beruhigungsmittel – normalerweise nahm Lee ein halbes Milligramm, heute aber hatte er das Doppelte geschluckt. Die Heftigkeit des Schubs hatte ihn in Panik versetzt.
    »Ach, eigene Dummheit«, antwortete er. »Ich habe nichts gegessen und …« Er zögerte. Sollte er das mit den Tabletten erzählen? Nein, besser nicht. Er nahm sich erneut das Foto.
    Es zeigte Ana Watkins. Daran gab es keinen Zweifel.
    »Ich kenne sie«, erklärte er. »Sie heißt Ana Watkins, eine ehemalige Patientin von mir.« Er holte tief Luft und versuchte sich zu fassen. »Sie hat mich vor ein paar Tagen aufgesucht und meinte, sie würde sich verfolgt fühlen. Seitdem habe ich dauernd versucht, sie telefonisch zu erreichen. Und als ich eben dieses Foto sah …« Er biss die Zähne zusammen, weil es ihn sonst überwältigt hätte.
    »Oh Gott, Lee«, sagte Chuck. »Kein Wunder, dass du einen Schock bekommen hast.«
    »Anscheinend hatte sie recht«, stellte Butts fest. »Sie wurde wohl wirklich verfolgt.«
    »Aber wieso sollte ihr Tod mit den beiden gefakten Selbstmorden zusammenhängen?«, fragte Lee.
    »Wir dachten, bei der Frage könnten Sie uns helfen«, erklärte Butts. »Auch bei ihr wurde nämlich so ein komischer Abschiedsbrief entdeckt.« Er wühlte sich durch die Fotos, zog dann eines aus dem Stapel und reichte es Lee.
    Ich war ein schlimmes, schlimmes Mädchen. Und schlimmen Mädchen passieren schlimme Sachen. Ich hätte wie Ophelia auch besser ins Kloster gehen sollen. Bitte verzeiht mir .
    Lee gab Butts das Foto zurück. »Ja, das war ein Er, keine Frage«, sagte er dann. Bisher hatte Lee es auch für möglich gehalten, dass der Mörder eine Frau war. Aber angesichts dieses Abschiedsbriefes zweifelte Lee nicht mehr daran, dass sie es mit einem Mann zu tun hatten.
    »Trotzdem passt das alles nicht zusammen«, sagte Butts. »Normalerweise haben die Opfer dieser Kerle doch immer dasselbe Geschlecht.«
    »Normalerweise schon«, bestätigte Lee. »Allerdings ist das nicht immer der Fall. Es gab auch Serienmörder, die sowohl

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