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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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das entsprechende Foto und schüttelte den Kopf. »Ist in Blockschrift mit Lippenstift geschrieben, deshalb meint unsere Expertin, dass sie da nichts feststellen kann.«
    »Aber sehen Sie sich mal die Formulierungen an«, sagte Krieger.
    Lee nahm sich das Foto von Chuck. » Ich bin schlecht. Es tut mir leid .« Er legte das Foto wieder weg.
    »In beiden steht, dass es dem Toten leid tut«, stellte Krieger fest. »Bei den meisten Selbstmördern wäre das als Entschuldigung für den Suizid gemeint. Aber hier scheint es um eine Entschuldigung dafür zu gehen, dass beide sich für ›schlechte Menschen‹ hielten.«
    Butts runzelte die Stirn. »Also wurden beide Nachrichten von ein und derselben Person verfasst?«
    »Das halte ich für sehr wahrscheinlich«, sagte Krieger.
    »Was schließt du aus den beiden Nachrichten?«, wollte Chuck von Lee wissen.
    »Tja …«, begann der, doch Krieger unterbrach ihn.
    »Offenbar haben die Opfer den Täter auf irgendeine Art beleidigt oder seine Verachtung auf sich gezogen.«
    »Jawohl!«, rief Butts in militärischem Tonfall.
    Krieger funkelte ihn böse an und sah dann zu Chuck. Doch der tat, als hätte er nichts bemerkt.
    Nicht zum ersten Mal an diesem Morgen ahnte Lee, dass die Ermittlungen sich noch recht herausfordernd gestalten würden.

KAPITEL 8
    Kurz nach eins kehrte Lee in seine Wohnung zurück. Dort erwarteten ihn drei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Anders als viele seiner Freunde, die gar keinen Festnetzanschluss mehr hatten, behielt er seinen trotz Handy. Seitdem er im East Village wohnte, hatte er dieselbe Telefonnummer und wollte sie schon aus sentimentalen Gründen nicht aufgeben – er hatte noch immer die Vorwahl 212, die an Neuanschlüsse in Manhattan nicht mehr vergeben wurde. Es war ihm etwas peinlich, dass ihm das so viel bedeutete, aber so war es tatsächlich.
    Er drückte auf die Taste und hörte die Nachrichten ab. Die erste war von Kathy, die ihm mitteilte, dass sie ihn vermisste. Er vermisste sie ebenfalls, insbesondere weil er am Wochenende die ganze Zeit in Sorge um Ana gewesen war und so die gemeinsame Zeit nicht richtig genossen hatte. Bestimmt hatte Kathy gemerkt, dass er mit den Gedanken woanders war – Vorwürfe hatte sie ihm aber deshalb nicht gemacht. Das entsprach einfach nicht ihrer Art.
    Während er sich die zweite Nachricht anhörte, setzte er den Wasserkessel auf. Fiona Campbells Stimme klang so klar und kühl wie immer.
    »Lee, hier ist deine Mutter. Vergiss nicht, dass Kylie am Wochenende Geburtstag hat, und wir dich zum Abendessen erwarten. Sie freut sich schon so auf dich. Also – bis dann.«
    In knapp einer Woche wurde seine Nichte Kylie sieben Jahre alt. Seit dem Verschwinden ihrer Mutter lebte sie bei ihrem Vater, George Callahan, die Wochenenden jedoch verbrachte sie mit ihrer Großmutter. Wie immer klang der Ton von Lees Mutter leicht vorwurfsvoll. Wenn du nicht kommst, wird deine Nichte sehr enttäuscht sein , hatte sie ihm mit anderen Worten sagen wollen. Nicht sie selbst wäre enttäuscht, oh nein, natürlich nicht! An dem Tag, als sein Vater sie verlassen hatte, hatte sie sich ja in eine selbstlose Märtyrerin ohne eigene Bedürfnisse verwandelt!
    Und typisch für sie, dass sie ihn unbedingt an seine familiären Verpflichtungen erinnern musste, als würde er das sonst selbstverständlich vergessen. Seit der Trennung war sie davon überzeugt, dass alle Männer Mistkerle waren, auf die man nicht zählen konnte. Natürlich war es auch an Lee nicht spurlos vorbeigegangen, dass sein Vater die Familie verlassen hatte. Wahrscheinlich war er deshalb Therapeut geworden. Wenn seine eigene Familie auch zerrüttet war, konnte er ja vielleicht wenigstens anderen Menschen helfen, ihre Probleme zu lösen.
    Als dann aber seine Schwester verschwunden war, ging es ihm nicht mehr nur darum, Menschen zu helfen, sondern vielmehr darum, sie zu begreifen. Und wenn er dadurch schon nicht herausfand, wer seine Schwester umgebracht hatte (anders als seine Mutter, war er sicher, dass sie tot war), wollte er zumindest dafür sorgen, dass andere Mörder gefasst wurden.
    Der Kessel begann erst leise, dann immer schriller zu pfeifen, als die dritte Nachricht abgespielt wurde. Lee hörte sie, während er gerade Wasser in eine Teetasse goss. Er stand da wie versteinert. Das heiße Wasser lief über die Arbeitsplatte und tropfte auf den Boden.
    Die Stimme war kalt, hart und ausdruckslos, als gehörte sie einer Reptilie.
    »Das rote Kleid. Du dachtest,

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