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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Frauen als auch Männer umgebracht haben – David Berkowitz zum Beispiel.«
    »Ja, aber der hatte es auf Paare abgesehen«, warf Chuck ein. »Das ist etwas anderes.«
    »Stimmt«, gab Lee zu. »Aber er war nicht der Einzige. Der schlimmste Fehler, den wir jetzt machen können, wäre, den Täter in irgendeine Schablone pressen zu wollen, statt erst die genauen Umstände seiner Verbrechen zu analysieren, um danach auf seine Persönlichkeit zu schließen.«
    Chuck lehnte sich gegen das Fensterbrett und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Stoff des gestärkten weißen Hemdes spannte sich über seinem kräftigen Bizeps. »Okay, und was sagen uns die genauen Umstände nun über ihn?«
    »Wo hat man … Ana gefunden?«, fragte Lee. Es fiel ihm schwer, ihren Namen auszusprechen.
    »Oben am Spuyten Duyvil«, antwortete Chuck. Der Name bedeutete übersetzt Teufelsteich und stammte aus der Zeit, als New York noch New Amsterdam gewesen war und unter holländischer Verwaltung gestanden hatte. Gemeint war die schmale Wasserscheide zwischen der South Bronx und Manhattan. Die Strömung dort war bekanntermaßen hinterhältig.
    »Und wer hat sie gefunden?«, wollte Butts wissen.
    »Ein paar Jungs vom Ruderklub der Columbia University«, erklärte Chuck. »Die haben gerade trainiert, als sie die Leiche vor ein paar Felsen im Wasser treiben sahen.«
    »Wenigstens wurde sie entdeckt, bevor es sie erst in den Hudson und dann hinaus auf die hohe See getrieben hätte«, sagte Lee traurig.
    »Ja«, stimmte Chuck zu. »Zwar kein großer Trost, aber immerhin etwas.«
    »Weiß jemand über die Strömung dort Bescheid? Wo könnte man sie ins Wasser geworfen haben?«, fragte Lee.
    Chuck schüttelte den Kopf. »Davon verstehe ich nichts. Könnte sogar ganz im Süden am East River gewesen sein.«
    »Moment«, sagte Butts und zog eine nautische Karte aus seiner Brieftasche. »Zufällig fährt mein ältester Sohn zur See und hat mir die hier mal geschenkt.«
    Chuck zog eine Augenbraue hoch und schaute zu Lee hinüber, doch Butts sprach ungerührt weiter. »Weil wir ja schon eines unserer Opfer in einem Fluss gefunden haben, dachte ich mir, dass wir die Karte vielleicht gebrauchen können und habe sie eingesteckt. Natürlich sollten wir uns damit an einen Experten wenden, aber bis dahin können wir uns ja schon mal unsere eigenen Gedanken machen.«
    Er breitete die Karte auf dem Schreibtisch aus. »Also, diese kleinen grünen Pfeile da an der Küstenlinie zeigen die Strömungsrichtung an der jeweiligen Stelle an.«
    »Okay«, sagte Chuck. »Und was schließen wir daraus?«
    Butts beugte sich so dicht über die Karte, dass seine Nase sie fast berührte, und kniff die Augen zusammen. »Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber nach meiner Schätzung muss sie irgendwo zwischen dem East River, wo wir das andere Opfer gefunden haben, ins Wasser geworfen worden sein …« Er zeigte auf die Karte. » … und der Stelle, wo man sie entdeckt hat.« Butts tippte mit dem dicken Finger auf den Spuyten Duyvil.
    »Und der Glatzkopf lag hier in der South Bronx in seiner Badewanne«, fügte er hinzu.
    Lee und Chuck betrachteten das entsprechende Gebiet auf der Karte. Auf der einen Seite des East River lag die Upper East Side und auf der anderen Queens.
    »Dann wohnt oder arbeitet der Täter also höchst wahrscheinlich in diesem Umkreis«, stellte Lee fest.
    »Das gibt uns doch schon mal einen echten Anhaltspunkt«, sagte Butts triumphierend.
    »Stimmt«, bestätigte Chuck, sprach aber nicht offen aus, was sie alle drei dachten … Würde diese Spur reichen, um den Täter zu fassen, bevor noch ein Mensch sterben musste?

KAPITEL 11
    Wieder zu Hause, erwarteten Lee zwei telefonische Nachrichten von Dr. Williams: Sie hatte sowohl auf dem Festnetz als auch auf dem Handy angerufen. Das Handy hatte er vorhin in der Wohnung vergessen. So schlecht, wie es ihm gegangen war, hatte er sich kaum lange genug konzentrieren können, um die Tür zuzuschließen.
    Er rief zurück, und diesmal nahm sie gleich ab.
    »Hallo, Lee, Sie wollten gern heute kommen?« Ihre Stimme klang ruhig, dennoch bemerkte Lee den besorgten Unterton.
    »Haben Sie denn einen Termin frei?«
    »Nach meinem letzten Patienten habe ich Zeit – um sieben. Passt das?«
    »Sehr gut, ja, vielen Dank.«
    Lee legte auf. Allein die Stimme seiner Therapeutin zu hören, beruhigte ihn schon.
    Er sah auf die Uhr, es war gerade kurz nach fünf. Er setzte sich ans Klavier und wollte etwas spielen, doch seine

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