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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Mutter.
    Sie kniff die Augen zusammen und starrte die Madison Avenue hinunter, als würde der Bus dadurch schneller kommen. Carolyn schaute sich um. Sie war die Einzige, die an der Haltestelle wartete. Da war es wohl okay eine Zigarette zu rauchen. Zu Hause konnte sie sofort auf ihr Zimmer laufen. Dann würde ihre Stiefmutter nichts mitbekommen.
    Während Carolyn in der Tasche nach dem Feuerzug suchte, hielt eine schwarze Limousine neben der Bushaltestelle. Das Fenster senkte sich und ein junger Mann lehnte sich heraus.
    »Haben Sie den Wagen bestellt?«, rief er.
    Carolyn schüttelte den Kopf.
    Er schaute auf sein Klemmbrett. »Hm, hier steht, ich soll eine junge Frau an der Bushaltestelle neben dem Café abholen.«
    Carolyn schaute hinüber zum Café. Weder dort noch hier an der Bushaltestelle wartete jemand.
    »Haben Sie eine Ahnung, wer mich bestellt haben könnte? Eine ihrer Freundinnen vielleicht?«
    Carolyn überlegte kurz, woher er wusste, dass sie mit ihren Freundinnen im Café gewesen war, fand das aber nicht weiter wichtig. Sie bemerkte die Lederhandschuhe, die der Fahrer trug, obwohl es doch ein warmer Augusttag war.
    »Nein, glaub ich nicht.«
    »Okay.« Er betätigte den elektrischen Fensterheber und die Scheibe fuhr langsam wieder hoch.
    Carolyn hielt nach dem Bus Ausschau, aber von dem war weit und breit nichts zu sehen. Taxis rasten vorbei, allesamt besetzt.
    »Moment!«, rief sie schnell.
    Er fuhr die Scheibe wieder herunter.
    »Ja?« Er lächelte. Carolyn fand sein Gesicht sympathisch, nicht auffallend gut aussehend, aber sympathisch. Ein Gesicht, das man schnell wieder vergaß.
    »Wenn Sie frei sind, könnten Sie mich nach Hause fahren.«
    »Klar, steigen Sie ein.«
    Sie warf sich die Tasche über die Schulter, öffnete die Wagentür und atmete den Ledergeruch der Sitze ein. Die Zigarette musste warten, sie wollte jetzt nach Hause.
    »Wo soll die Fahrt hingehen?«, fragte er.
    Sie nannte die Adresse. »Wie teuer wird das?«
    Er drehte sich um und grinste.
    »Für Sie fahr ich umsonst.«
    Sie lächelte, lehnte sich zurück und streckte die gebräunten Beine aus. Carolyn musterte zufrieden ihre lackierten Fußnägel, die aus den Versace-Sandalen herausschauten. Es war wunderbar, jung, reich und hübsch zu sein und in Manhattan zu leben.
    »Sie können sich gern eine Wasserflasche nehmen«, sagte er. Hinten am Fahrersitz klemmten einige Flaschen Mineralwasser in einer Tasche.
    Carolyn nahm sich eine, öffnete sie und trank durstig. Wenn ihr ein komischer Geschmack aufgefallen wäre, oder dass der Verschluss zuvor schon einmal geöffnet worden war, hätte sie die Fahrt vielleicht überlebt. Doch als die Limousine Richtung East River abbog, verlor Carolyn bereits das Bewusstsein. Sie bekam kaum noch mit, wie der Wagen am Ende einer Sackgasse zwischen ein paar alten Speichern hielt. Das letzte, was sie sah, bevor ihr kurzes Leben endete, war ein Paar Hände in Lederhandschuhen, die sich um ihren zarten Hals legten.

KAPITEL 48
    Später, als Lee zu Hause war, klingelte das Telefon. Es war Kathy. Am Klang ihrer Stimme erkannte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Auch die Samstagnacht hatte sie nicht bei ihm verbracht, und er hatte schon geglaubt, sie wäre bereits nach Philadelphia zurückgefahren.
    »Wir müssen uns treffen.«
    »Geht es um deine Katze?«
    »Nein, es ist – ich muss dich sehen«
    »Bist du noch in der Stadt?«
    »Ja, ich fahre aber heute zurück. Später.«
    »Warum kommst du nicht vorbei?«
    »Können wir uns woanders treffen?«
    »Sicher.«
    »Ich bin noch in Murray Hill bei Arlene. Wollen wir ins Waterfront?«
    Das Waterfront war ein gemütlicher Laden in der Second Avenue, dessen länglicher Gastraum mit dunklen Holzbohlen ausgelegt war. An den Wänden hingen Bilder von Segelschiffen, um die maritime Atmosphäre zu unterstreichen. Hinter der kunstvoll gefertigten Bar aus Mahagoni wurde eine Auswahl exklusiver Biere präsentiert, und auf der Speisekarte standen Gerichte wie Burger aus Straußenfleisch und geschmortes Kaninchen. Lee ging schon seit Jahren ins Waterfront, und nachdem er Kathy einmal mitgenommen hatte, liebte sie den Laden genauso wie er.
    »Ich bin in fünfzehn Minuten da.«
    Er rief sich ein Taxi.
    Kathy wartete an einem viereckigen Tisch, weit entfernt vom Tresen, wo die Gäste eingehüllt in blaue Rauchwolken auf ihren Barhockern saßen. Sein Vater hatte geraucht, und Lee hasste es, in der Nähe von Rauchern zu sitzen.
    Kathy wirkte nervös. Sie lächelte kurz, als

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