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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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trafen. In einer Woche fing die Schule wieder an, und die Mädchen waren braun gebrannt. Wahrscheinlich hatten sie die Ferien in den Hamptons verbracht oder in Südfrankreich.
    Sie trugen kurze Röcke, die den Blick auf knochige Knie und schmale Schenkel freigaben. Und sie hatten alle ein nicht zu übersehendes Selbstbewusstsein, eine Selbstsicherheit, die man wohl nur besaß, wenn man so aufwuchs. Sie benahmen sich, als würde das Café ihnen gehören, was gewissermaßen ja auch stimmte. Ihre Eltern gehörten zur besitzenden Klasse Amerikas. Nirgendwo im Land gab es mehr Milliardäre als an der Upper East Side. Kein Vergleich mit Beverly Hills und seinen Neureichen – in New York lebte die wahre Aristokratie, und das wussten diese Mädchen ganz genau.
    Caleb musterte die kleinen Schlampen. Er stellte sich vor, wie ihre Eltern in Armanianzügen und Guccischuhen in ihren riesigen Luxusapartments herumliefen, den Börsenkurs checkten, um dann einen Tisch im La Giraffe oder dem Chanterelle zu reservieren. Die wunderschönen Brownstones, in denen sie wohnten, gehörten ihnen, und sie kauften in den teuersten Geschäften der Madison Avenue ein. Die Einwanderer aus Ecuador, Mexiko oder Peru, die ihr Silber putzten und ihre dreckige Wäsche wuschen, wurden eingestellt oder gefeuert, wie es gerade beliebte.
    Caleb gab noch einen Löffel Zucker in seinen Kaffee und rührte um. Er hasste diese Mädchen und ihren Kokon aus Sicherheit und Luxus, den es nur für die Reichen gab. Da saßen sie, lachten, redeten, strichen sich über das lange Haar und kramten in ihren teuren kleinen Rucksäcken herum.
    Sie waren widerlich in all ihrer Selbstherrlichkeit, die sie schon mit der Muttermilch aufgesaugt hatten. Caleb musterte die dummen Puten. Vielleicht wussten diese Mädchen noch nicht, wer sie waren, aber sie glaubten zumindest, es ganz genau zu wissen.
    Caleb sah zu, wie ein kleiner mopsgesichtiger Südamerikaner einen Tisch abräumte. Er tat das mit dem betont desinteressierten Gesichtsausdruck, den man bei vielen Menschen mit solchen Jobs beobachten konnte. Caleb überlegte, was diese Südamerikaner wohl von diesen Mädchen hielten. Waren sie wütend wegen ihrer finanziellen, sozialen und genetischen Privilegien? Oder waren diese Einwanderer und Illegalen einfach nur froh, weil sie in den USA für einen Mindestlohn arbeiten durften? Und diese kleinen Prinzessinnen bedienen? Caleb erstaunte es immer wieder, wie freundlich diese Menschen waren, die in New Yorks Restaurants schufteten.
    Eines der Mädchen, eine zarte Brünette in einem pinkfarbenen Pullover bemerkte seinen Blick, kicherte und flüsterte einer ihrer Freundinnen etwas ins Ohr. Dabei schaute sie ihn aus den Augenwinkeln an und war sich ihrer eigenen Überlegenheit so offensichtlich bewusst, dass es Caleb den Atem verschlug. Ein böses Mädchen, und böse Mädchen müssen bestraft werden.
    Caleb zupfte seine Strümpfe und seine Perücke zurecht. Die Verkleidung war ihm gut gelungen. In der U-Bahn hatte ihn niemand auch nur komisch angesehen. Lächelnd strich er seinen grünen Tweedrock glatt. Er war teuer und ausgezeichnet geschnitten – seine Mutter hätte fabelhaft darin ausgesehen.

KAPITEL 47
    Carolyn Benton winkte ihren Freundinnen zum Abschied zu und trat hinaus in die milde Abendluft des Spätsommers. Die Sonne versank an einem pinkfarbenem Horizont, und die warme Brise war wie eine sanfte Umarmung.
    An der Bushaltestelle musste sie sich einen leichten Schweißfilm von der Oberlippe wischen. Um die Uhrzeit hatte es in dieser Gegend absolut keinen Sinn, ein freies Taxi anhalten zu wollen – da konnte man genauso gut darauf warten, dass ein Einhorn vorbeikam und einen auf seinem Rücken nach Hause trug.
    Sie öffnete den Reißverschluss ihres Prada-Täschchens und kramte darin herum. Die Tasche war zitronengelb, das Leder weich und zart. Sie hatte siebenhundert Dollar gekostet – ein echtes Schnäppchen. Trotzdem hatte Carolyns Vater mit den Augen gerollt, als er die Abrechnung auf der Visakarte gesehen hatte. Der hatte manchmal echt einen Knall. Besonders wenn man daran dachte, wie viel Geld er für seinen Single Malt ausgab.
    Endlich fand sie die Marlboro Lights unten in der Tasche. Sie brauchte dringend eine Zigarette, hatte aber Angst, dass ihre Stiefmutter es vielleicht an ihren Haaren riechen würde – die Frau hatte die Nase eines Bluthunds. Carolyn fand sowieso, dass sie ihr gar nichts zu befehlen hatte. Schließlich war sie nicht ihre richtige

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