Wehe wenn der Wind weht
allein deine Schuld ist!«
»Meine Schuld?« echote Joyce. »Ich verstehe nicht ...«
»Dein Sohn hatte doch die Idee, dorthin zu gehen, nicht wahr? Obwohl du versucht hast, das Jay-Jay in die Schuhe zu schieben. Wie konntest du das nur?« Plötzlich sprang sie auf und richtete ihren Finger anklagend auf Joyce. »Jeff! Es waren Jeff und du und deine Freundin Diana!« Joyce starrte sie an, dann wanderte ihr Blick zu Jerome, der nur seinen Kopf schütteln konnte.
»Sie meint es nicht so«, flüsterte er.
»Ich meine es so«, zischte Claire. »Mein Kind ist tot, und vielleicht hast du es sogar selbst umgebracht!«
»Claire, das kannst du doch nicht wirklich meinen«, begann Joyce, doch jetzt wurde Claire hysterisch.
»Doch, doch!« schrie sie. »Das warst du, und Diana Amber und dieses kleine Luder Christie! Vielleicht hatte Jay-Jay recht - vielleicht hat Christie Lyons Kim Sandler ermordet! Oh, ich bete nur, daß du als Nächste dran bist! Und jetzt verschwinde hier und laß mich in Ruhe!«
Benommen ging Joyce aus der Tür. Während sie nach Hause ging, konnte sie Claire Jennings Worte in ihren Ohren hallen hören, und sie wußte, daß etwas begonnen hatte. Claire würde in ihrem Kummer mit ihren Freunden sprechen, und ihre Freunde würden ihr glauben, egal wie absurd das war. Und in wenigen Tagen würde Amberton geteilt sein. Da würden auf der einen Seite die Menschen sein, die wußten, daß Jay-Jays Tod ein Unfall gewesen war, aber da würden auf der anderen Seite eben die anderen sein.
Da würden die sein, die lieber Gerüchte verbreiteten.
Joyce kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß die Gerüchte wahr sein könnten.
19
die spätjunisonne brannte auf den Friedhof, und in der trockenen Hitze wirbelte der Staub über den Boden. Selbst die Bäume - die Weiden, deren Schatten gewöhnlich so einladend waren - wirkten müde und unglücklich.
Edna Ambers Gesicht war steinern, und sie hielt den Blick starr auf den kleinen Sarg gerichtet, der die Überreste von Jay-Jay Jennings barg. Sie versuchte das Getuschel der Menschen um sie zu ignorieren. Im Lauf der Jahre hatte sie sich daran gewöhnt, daß über sie geredet wurde, obwohl sie es ebensowenig mochte, wie eh und je.
Heute aber war es schlimmer als alles, woran sie sich erinnern konnte. Es war schon drei Tage zuvor bei Kim Sandlers Beerdigung schlimm genug gewesen. Die Stadtbewohner hatten nur wenige Stunden vor Kims Beerdigung von Jay-Jay Jennings Tod erfahren, und wie erstarrt hatten sie auf den Sarg des einen Kindes geschaut, während sie an das andere dachten. Und dann und wann hatten sie zu Diana Amber hinübergeschaut und miteinander geflüstert. Edna hatte gelassen zur Kenntnis genommen, daß die Menschen - zu Recht oder Unrecht - bereits zu schwätzen begonnen hatten.
Und jetzt, drei Tage später, hatten Alice Sandler und Claire Jennings ihr Werk vollendet, indem sie ihren Freunden eingeredet hatten, daß am Ende alles, was geschehen war, auf Diana Amber und ihre Fahrlässigkeit zurückzuführen sei. Auf seltsame Weise amüsierte es Edna, daß sie anscheinend diese Schmach nicht mit ih rer Tochter zu teilen hatte. Offensichtlich hatte sie das Alter erreicht, in dem man, wenngleich sie noch respektiert wurde, nicht länger verantwortlich gemacht wurde. Und doch wußte sie, obwohl sie sich unerschütterlich gegen das Getuschel verschloß, daß etwas getan werden mußte. Sie mußte eine Geste zeigen. Und als die Beerdigung anfing, begann eine Idee in ihrem Kopf Gestalt anzunehmen.
Für Diana, die neben Edna stand und Christies Hand fest in die eigene genommen hatte, war es noch schlimmer. Sie konnte das Flüstern nicht ignorieren, und obwohl sie nicht alles verstehen konnte, was gesagt wurde, vernahm sie doch den Kern des Gesagten.
Irgendwie wurde sie für Jay-Jays Tod verantwortlich gemacht.
Joyce hatte sie an dem Tag, nachdem Jay-Jay gestorben war, angerufen und zu erklären versucht, was geschehen würde. Aber auf die Kälte, die die an der Gruft versammelte Gruppe ausstrahlte, war Diana nicht vorbereitet gewesen. Diese Kälte schien sich wie eine Schlange zu ihr zu winden und drohte, sie zu erdrosseln.
Langsam füllte sich der Friedhof mit den Freunden der Jennings und auch mit Neugierigen. Das waren jene Leute, denen plötzlich bewußt wurde, daß etwas in Amberton vorging, obwohl sie Jay-Jay Jennings nur flüchtig gekannt hatten. Sie waren gekommen, um zu flüstern und zu gaffen.
Esperanza Rodriguez war da und stand dicht neben
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