Wehrlos: Thriller
stetige Pfeifen des Windes gestört, hob Hansen die Stimme. »Das ist die Theorie, Rachel. Ich weiß, dass Sie Christa per Vollmacht ermächtigt haben, in Ihrer Abwesenheit über die medizinischen Maßnahmen zu entscheiden. Aber ich wollte Ihnen die Neuigkeit selbst mitteilen und Sie informieren, dass wir so schnell wie möglich Untersuchungen vornehmen werden.«
»Schmerzhafte Untersuchungen?«
»Nein, mehrere Elektromyografien.«
»Tausend Dank, Professor, halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Ich muss für eine Woche zu einem Kongress in die USA , aber gleich nach meiner Rückkehr sehen wir uns und besprechen die neue Physiotherapie.«
»Wunderbar!«
»Passen Sie auf sich auf, ich gebe Ihnen Christa.«
Rachel befand sich in einem Ausnahmezustand, und die Stimme ihrer Schwiegermutter drang wie durch einen Filter zu ihr vor. »Ist das nicht ein Wunder? Er wird vielleicht eines Tages laufen können. Halleluja!«
Rachel war derart verblüfft, dass sie nicht antworten konnte. Die Kälte der Sicherheitsreling war der einzige Kontakt mit der Realität, den sie noch klar wahrzunehmen vermochte.
Die Verbindung wurde immer schlechter. »Ich höre dich kaum, was hast du gesagt?«
»Ich wusste, dass es funktionieren würde.«
»Woher wusstest du das?«
»Ich habe das Nötige unternommen, Rachel. Und es hat geklappt, es ist ein Wunder!«
Rachel verstand nicht, was ihre Schwiegermutter sagte. »Was hast du unternommen, Christa?«, schrie sie in ihr Handy.
»Durch meinen Glauben habe ich ihn gerettet!«
»Was redest du da?«
»Bete mit mir, Rachel, bete!«
»Christa, bitte«, erwiderte Rachel und zwang sich, nicht zu brüllen, »sag mir, was du getan hast?«
»Ich habe zum Papst und zu den Heiligen gebetet, das ist alles.«
Fassungslos blinzelte Rachel. »Gibst du mir bitte den Kleinen?«
»Der Doktor hat ihn mitgenommen, tut mir leid.«
»Gib ihm einen dicken Kuss von mir, und sag ihm, dass seine Mama an ihn denkt, ihn lieb hat und ihm einen riesigen Berg Geschenke mitbringt. Danke noch einmal, dass du dich um ihn kümmerst. Ich liebe euch.«
Doch dann bemerkte Rachel, dass sie ins Leere sprach, die Verbindung war erneut unterbrochen. Verblüfft starrte sie auf das Handy, ganz so, als handelte es sich um einen mystischen Gegenstand. Sie stellte fest, dass der Akku fast leer war. Ihre Hand zitterte, ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Ein Wunder!
Ein Wunder war geschehen! Sie spürte ihren Körper nicht mehr und hatte das Gefühl zu schweben. Die Rührung war in ihr angeschwollen wie ein großer Ballon, der jeden Moment platzen könnte. Sacha kann laufen . Diese geheime Hoffnung, die sie seit vier Jahren immer wieder mit aller Macht unterdrückt hatte, schien jetzt endlich gerechtfertigt. Plötzlich fasste sie die verrückte Vorstellung ins Auge, Sacha könnte, stolz auf seine weißen Turnschuhe, auf seinen Beinchen stehen, er könnte gehen, vielleicht sogar laufen. Hör auf, das ist unmöglich .
Rachel bemerkte, dass es auf dem Vorderschiff unruhig geworden war, und stellte fest, dass die Mannschaft die Vorbereitungen für den Einsatz fast beendet hatte. Morten und Joanna warfen ihr fragende Blicke zu. Und mit einem Schlag war sie wieder in der Gegenwart. Sie war mitten auf dem Meer vor diesen verlorenen Inseln, Kilometer vom Festland entfernt, und konnte nicht einfach nach Hause fahren. Frustration und Schuldgefühle überkamen sie. Sie saß hier fest, während ihr kleiner Sohn einen außergewöhnlichen Tag erlebte und sich wichtigen Untersuchungen unterziehen musste. Sie überlegte schnell, welche Möglichkeiten sie hatte, auf der Stelle von hier zu verschwinden, und kam zu dem Schluss, dass es keine einzige gab. Sie fluchte leise. Verdammter Mist! Wenn sie nach dem Einsatz an Land gehen und mit der Fähre oder durch den Tunnel nach zweistündiger Autofahrt den Flughafen V á gar erreichen und einen Flug bekommen könnte, wäre sie mit etwas Glück heute Nacht, schlimmstenfalls morgen Mittag wieder in Kopenhagen.
Sie betrachtete die Küste, die Felsen waren grandios und beängstigend zugleich. Das Team war fast fertig angezogen. Los, mach deine Arbeit, und fahr nach Hause. Rachel bemerkte den beunruhigten Blick von Joanna und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie gleich kommen würde. Sie ging noch einmal schnell in die Kabine, um ihr altes Handy an das Ladegerät zu hängen. Als sie den Stecker hineinschob, vibrierte der Apparat. Ein kleiner
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