Wehrlos: Thriller
Klimawandel, gegen eine gentechnisch veränderte Landwirtschaft und gegen Atomkraft sowie für den Schutz der Biodiversität. So lautete die offizielle Version.
Denn inoffiziell würde Rachel gemeinsam mit Peter eine groß angelegte Operation vorbereiten. Es ging darum, einen der größten amerikanischen Konzerne zu entlarven, der nicht nur die Umwelt verschmutzte und die Bevölkerung vergiftete, sondern auch hinter den Kulissen unter Einsatz von Milliarden von Dollar alle Umweltschutzgesetze umging. Und Rachel hatte mit ihnen noch eine alte persönliche Rechnung zu begleichen. Wie jedes Mal, wenn sie an diesen Chemiemagnaten dachte, biss sie die Zähne zusammen. Selbst auf dem Meer, das normalerweise ihren Kopf frei machte, erinnerte sich Rachel noch ganz genau an den Anruf, den sie vier Tage nach ihrer Heimkehr von der Entbindungsstation von Professor Hansen bekommen hatte: »Ihre Plazenta weist einen erhöhten Anteil an PCB auf«, hatte ihr der Arzt erklärt. »Alles deutet darauf hin, dass dies die Ursache für die Spina bifida, das heißt für Sachas Behinderung ist. Neuere Veröffentlichungen haben belegt, dass so etwas bei mit PCB vergifteten Frauen häufig vorkommt, vor allem in China.« »Ich war noch nie in China«, hatte Rachel gestammelt. »Das kann schon sein, aber wissen Sie, PCB gibt es überall.«
Rachel wusste genau, was Polychlorierte Biphenyle waren. Doch in diesem Augenblick waren all ihre Kenntnisse wie weggeblasen gewesen. Verblüfft hatte sie Hansens Erklärungen gelauscht. »Es handelt sich um ein Basisprodukt, das für elektrische Kondensatoren, Farben und Isoliermittel verwendet wird. Seit den Achtzigerjahren weiß man, dass es sich um einen organischen Giftstoff handelt, der verboten wurde. Leider gehört auch eine lange Haltbarkeit in der Umwelt zu seinen Charakteristika, sodass Wasserläufe und der Boden verseucht sein können. Vor allem wird er im Fett der Fische und Meeressäugetiere gespeichert.« Endlich hatte Rachel reagiert. »Ich habe nie belasteten Fisch gegessen.« »Vielleicht ohne es zu wissen«, hatte Hansen gemeint. »Die Akkumulation geht progressiv vor sich.« Rachel hatte ungläubig geschwiegen. Die wahre Ursache der Vergiftung sollte sie erst zweieinhalb Jahre später entdecken.
Damals hatte sie dem Professor geantwortet: »Ich hatte aber nie irgendwelche Symptome oder Anzeichen.« »Studien haben erwiesen, dass die Vergiftung bei Erwachsenen unbemerkt bleiben kann, am gefährlichsten ist sie für den Fötus, es tut mir leid.« Hansen hatte gehüstelt, ehe er fortfuhr: »Leider müssen Sie Ihr Kind sofort abstillen. In der Muttermilch ist die PCB -Konzentration besonders hoch. Auch das tut mir unendlich leid.«
Ein weiterer Messerstich ins Herz.
Rachel durfte ihr Kind nicht mehr stillen, weil ihre Milch vergiftet war. Sie hatte viel geweint und sich schließlich in ihr Schicksal gefügt.
Jetzt warf sie einen letzten Blick auf das Foto ihres Sohnes. »Wir werden die Schuldigen zu fassen bekommen, mein Liebling, damit sie für alles bezahlen, was sie uns schon angetan haben und noch antun werden.« Darüber hatte Rachel ein Zitat von Théodore Monod aufgehängt:
Utopie ist einfach nur das, was noch nicht versucht wurde.
In der Kajüte unterhalb der Kommandobrücke hatte sich die ganze Mannschaft versammelt. Der Geruch nach Pulverkaffee, vermischt mit dem nach Motoröl, stieg ihnen in die Nase. Die gesamte Einsatztruppe, das heißt sechzehn Aktivisten in rotem Ölzeug, stand vor Morten.
Endlich schritt man zur Tat.
Rachel trat zu Karl, einem großen, kräftig gebauten blonden Deutschen, der bei ihrer letzten Aktion das Schlauchboot steuern würde. Morten bedachte sie mit einem autoritären und zugleich wohlwollenden Blick. Er war ein unvergleichlicher Seemann und Einsatzleiter, der seit zwanzig Jahren auf den Weltmeeren kreuzte, um die Waljäger zu verfolgen. Er führte seine Mannschaft mit fester Hand. Wer mit seiner direkten Art zurechtkam, schätzte seine Integrität und seinen Mut. Er wandte sich an seine Leute: »Zwei Schulen kommen von Norden, insgesamt mindestens zweihundert Tiere. Die Fischerboote werden anfangen, sie in die Bucht zu treiben. Karl und Rachel also wie immer im Schlauchboot, um zu filmen. Joanna, Lorenzo und Clara übernehmen die Bordwache, Frederik den Lautsprecher. John und Maria assistieren mir beim Manöver.«
Rachel suchte den Blick von Joanna, deren blond gelocktes, zu Zöpfen geflochtenes Haar unter der grünen Mütze versteckt war,
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