Wehrlos: Thriller
viel wie möglich davon profitiert. Seien Sie vernünftig, Rachel!«
Benommen schüttelte Rachel den Kopf. Lange Minuten vergingen, während derer sie das Für und Wider abwog, obgleich sie genau wusste, was sie zu tun hatte. Dann setzte sie sich vor das Netbook und verfasste eine lakonische Mail an ihre GG -Kollegen und eine persönlichere an Peter, in der sie ihn ohne weitere Erklärungen bat, das Dokument »Eiche und Schilfrohr« definitiv zu löschen. Dann unterschrieb sie die Einverständniserklärung zu der klinischen Studie, erhob sich, ohne irgendjemanden anzusehen, und drehte Sachas Rollstuhl um. Kirsten legte ihre Jacke über den Jungen, und die beiden Frauen verließen wortlos das Sprechzimmer.
Hans Renoksen wandte sich an Samuel.
»Jetzt sind Sie dran, von Lommel. Loggen Sie sich in den Server Ihrer Agentur ein, und löschen Sie Ihren dort gespeicherten Artikel.«
Samuel schielte auf den leeren Stuhl. Es war die Sensationsmeldung seines Lebens. Dennoch zögerte er nicht. Mit einem Mausklick war der Artikel verschwunden.
KAPITEL DREI
3. Oktober
Das Pfeifen des Wasserkessels riss Rachel aus ihren Träumereien. Sie stand auf, um sich Tee zu kochen und nachzusehen, wie es um ihren »Lachs-Spinat-Auflauf« stand, der seit einer halben Stunde im Ofen war. Sie würde zwei Portionen für nächste Woche einfrieren. Immer mehr Plastikbehälter mit kleinen selbst zubereiteten Gerichten stapelten sich in ihrem Tiefkühlschrank, in dem der Platz allmählich knapp wurde. Seit einem Monat verbrachte sie ihre Tage damit, sich um Sacha zu kümmern und zu kochen. Es gefiel ihr. Rachel hatte sich komplett zurückgezogen und verließ ihre Wohnung nur, wenn sie Sacha ins Krankenhaus oder zur Schule brachte oder um Besorgungen zu machen und Karl zu besuchen, der noch immer im Koma lag. Bei Green Growth hatte sie unbezahlten Urlaub genommen, während der Rest der Truppe schon die Messer wetzte und sich auf den siebzehnten Klimagipfel vorbereitete, der Anfang Dezember in Cancún stattfinden würde.
Rachel warf einen Blick hinaus. Es war schön, kalt und trocken. Trotz des starken Windes spielten die Kinder der Siedlung laut kreischend Fangen. Sie trank den Tee. Genau das hatte sie jetzt gebraucht. Sie fühlte sich allein. Samuel hatte seit jenem Abend im Riget, an dem ihr Leben sich um hundertachtzig Grad gewendet hatte, nichts mehr von sich hören lassen. Damals war sie mit Sacha und Kirsten im Taxi nach Ø restad zurückgefahren. Die Physiotherapeutin hatte ihr noch geholfen, den Kleinen auszuziehen und ins Bett zu bringen. Den Rest der Nacht hatten sie miteinander geredet, sich einander anvertraut. Die für den nächsten Tag anberaumte Pressekonferenz war kurzerhand abgesagt und Samuels Artikel einfach gelöscht worden. Noch am Abend hatte Rachel mit Peter telefoniert, der die Beherrschung verloren, ins Telefon gebrüllt und schließlich von ihr verlangt hatte, ihm endlich die ganze Wahrheit zu sagen. Diesem Druck war sie nicht gewachsen gewesen. Betrübt und mit tränenerstickter Stimme hatte sie ihm gestanden: »Sie halten Sachas Zukunft in ihren Händen, ich kann nicht anders.«
Am 2 . September hatte Reed Industries den Zuschlag für das bisher größte US -amerikanische Solarkraftwerk bekommen. Einen Monat später wurde Ole Polsen als Urheber des Attentats vor den Färöer-Inseln schuldig gesprochen, für das er offiziell von Ice Fish Export bezahlt worden war. Das Unternehmen war aufgrund der gefälschten Beweise für die finanzielle Transaktion in große Erklärungsnot geraten. Margareth Jensen und ihr Neffe, die beiden Einzigen, die mit ihren Enthüllungen Ice Fish Export hätten ent- und Renoksen belasten können, waren wie vom Erdboden verschwunden.
Rachel könnte von ihren Ersparnissen noch einen Monat leben, dann würde sie sich eine neue Arbeit suchen müssen. »Du kannst jederzeit zurückkommen«, hatte Peter ihr zugesichert. Schon möglich, aber Rachel konnte einfach nicht noch mal bei GG anfangen. Sie hatte die Arbeit eines ganzen Jahres ruiniert und verdiente das Vertrauen der Kollegen nicht mehr. Was Samuel betraf, so hatte er seine Karriere für sie und Sacha geopfert – das hatte sie erst tags darauf begriffen, als sein Artikel tatsächlich nicht erschien und er untergetaucht war. Zweimal hatte sie erfolglos versucht, ihn anzurufen. Er hatte ihr eine SMS geschickt: Melde mich in Kürze bei dir . Danach hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Einen weiteren Versuch hatte sie nicht gewagt. Seine
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