Wehrlos: Thriller
Ich muss das Haus leer räumen und übergeben.«
Rachel rührte sich nicht, tatenlos stand sie da. »Jetzt schon?«
»Ich werde die Möbel in einem Lager unterstellen, bis ich beim Notar gewesen bin und sie verkaufen kann. Ich brauche Geld …«
»Du verlierst wirklich keine Zeit.«
Rachel war wie benommen. Das kam alles so plötzlich. Niels ging am Abend von Bord und entledigte sich sofort des Hausstands seiner Mutter, noch ehe diese begraben war. Unaufgefordert betrat sie Christas Haus. Einige Möbel waren bereits verschwunden. Sie holte sich mehrere große Einkaufstaschen und ging in den ersten Stock. Dort packte sie alles ein, was ihrem Sohn gehörte: Kleidung, Spielzeug, Fotos, ein Porträt von Christa, das sie sehr mochte, und verschiedene Bücher, für die ihre Schwiegermutter eine besondere Vorliebe gehabt hatte, verschwanden ebenfalls in den Taschen.
Schwer beladen ging Rachel hinunter und nahm die Hilfe von Niels an. Sie stellten alles in den Kofferraum ihres Autos. Dann ging sie zurück, um noch das Hochstühlchen zu holen, das sie einem Verein schenken würde. Nachdem sie den Kofferraum geschlossen hatte, wandte sie sich ruhig zu Niels um.
»Wann möchtest du mit Sacha in den Tivoli gehen?«
»Heute Nachmittag?«
»Er ist vormittags im Zoo, das wird etwas viel für ihn. Er wird schnell müde.«
Niels zuckte mit den Schultern. »Und wenn ich ihn auf eine heiße Schokolade abhole? Nur damit wir uns kennenlernen.«
»Ja, das ist eine gute Idee. Komm gegen fünfzehn Uhr, dann kannst du mit ihm ins Ø restad Café gehen.«
»Super, um fünfzehn Uhr.«
Rachel seufzte erleichtert.
»Könntest du mir jetzt bitte die E-Mails deiner Mutter zeigen?«
Niels stellte zwei Stühle in den Lastwagen, sein Gesicht war plötzlich verschlossen. »Ich habe darüber nachgedacht, darin steht nicht mehr, als ich dir erzählt habe. Sie sind sehr persönlich, weißt du. Ich möchte das lieber nicht.«
Rachel räusperte sich. »Ich würde nur gerne lesen, was sie über Sacha berichtet«, insistierte sie mit beherrschter Stimme.
»Hör mal, ich bin sein Vater, und wenn es irgendetwas Wichtiges Sacha betreffend gegeben hätte, hätte ich dir das gesagt, glaub mir. Ich bin immerhin auch verantwortlich.«
Dazu konnte Rachel nicht schweigen. »Verantwortlich? Nachdem du dich nach der Geburt des Kleinen aus dem Staub gemacht hast? Soll das ein Witz sein?«
Niels verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihr tief in die Augen. »Ich habe zugegeben, dass ich feige war. Aber ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht . Wie ich dir geschrieben hatte, war ich für unsere Sache unterwegs. Ich habe mich auf einem der Sea-Sheperd-Schiffe verpflichtet, um die Zukunft unseres Planeten auf eigenes Risiko und eigene Gefahr zu verteidigen. Dabei habe ich an Sacha gedacht. An ihn und alle Kinder seiner Generation. Das ist genauso wichtig, wie zu bleiben, nachdem du ihn die meiste Zeit meiner Mutter anvertraut hast.«
Rachel bekam große Augen. Niels fuhr fort: »Mit dem Geld, das ich für die Sachen hier bekomme, werde ich meinen eigenen Verein gründen, um den Kampf für die Umwelt fortzusetzen.«
Rachels Stimme wurde schrill. »Es ist mir völlig egal, was du mit diesem Geld machst, Niels. Ich würde nur gerne diese E-Mails lesen.«
»Ich will das nicht.«
»Wie kannst du so egoistisch sein!«
Niels seufzte. »Natürlich wie immer große Worte, großes Theater, ein Drama.«
Er schnalzte mit der Zunge. »Wo wir schon bei den Geständnissen sind: Ich wollte dir noch sagen, dass ich mich in England niedergelassen habe, mit einer Freundin. Olga.«
Rachel flüchtete sich in ihr Auto und schlug wütend mit der Hand auf das Lenkrad, am liebsten hätte sie vor Zorn und Frustration geschrien. Wenn eine andere dumme Kuh Niels auf den Leim ging, war sie selbst schuld. Aber dass er vor ihr groß herumtönen musste, war unerträglich. Zum zigsten Mal sagte sie sich, wie sehr sie sich getäuscht hatte, als sie sich in diesen Mistkerl verliebt hatte, und dass Sacha einen solchen Erzeuger nicht verdient hatte.
Rachel blieb eine Zeit lang an der Straßenecke stehen und grübelte. Im Rückspiegel sah sie, dass Niels Christas Haustür abschloss, die Plattform des Lasters hochklappte und startete.
Rachel wartete, bis er verschwunden war, dann stieg sie aus, um ohne Eile zum Haus zu gehen, benutzte den Zweitschlüssel von Christa und betrat zum letzten Mal das ockerfarbene Haus. Niels hatte sich im Wohnzimmer ausgebreitet und schlief auf
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