Wehrlos vor Verlangen
wünschen.“
„Ich nehme lieber den Bus“, erwiderte Tahlia fröhlich. Sie konnte es nicht erklären, aber sie wollte die Dienste von Thanos’ Personal nicht in Anspruch nehmen. Es war ihr wichtig, so viel Eigenständigkeit wie möglich zu behalten.
Die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen bedeutete auch, dass sie etwas mehr von der Insel sah. Eine knappe Stunde später fuhr sie mit dem Bus an felsigen Hügeln vorbei, auf denen Ziegen das wenige Gras abrupften. Wenn sie den Kopf drehte, sah sie das leuchtend blaue Meer, das sich bis zum Horizont erstreckte. Vor sich in der Ferne entdeckte sie die berühmten Windmühlen, die wie Wächter auf den Hügeln über dem Hafen standen. Entzückt ließ Tahlia den Blick über die weiß getünchten Häuser mit den Flachdächern wandern, als der Bus in die Stadt einfuhr. Schon jetzt tummelten sich die Touristen in den engen Gassen. Alle Souvenirläden hatten geöffnet, und vor den Cafés und Tavernen ruhten sich die Gäste unter bunten Sonnenschirmen aus. Mykonos war die kosmopolitischste der griechischen Inseln, was sich leider auch in den Preisen in den Boutiquen niederschlug. Entschlossen, sich nicht auch noch die Kleidung von Thanos bezahlen zu lassen, gab Tahlia ihr letztes Geld für zwei Abendkleider aus. Zwar gefielen sie ihr nicht wirklich, aber es waren die preisgünstigsten, die sie finden konnte.
Nach dem Kleiderkauf bummelte sie an den Schaufenstern entlang, setzte sich zum Lunch in ein hübsches kleines Restaurant am Rand der Stadt und bestieg schließlich den Bus zurück zum Artemis. Sie war müde und verschwitzt, aber zufrieden, dass sie etwas erstanden hatte, um die Bluse zu ersetzen, die Thanos zerrissen hatte.
Als sie in die Suite zurückkam, stand Thanos zu ihrer Überraschung in der Terrassentür. Ihr Mut sank, als er sich zu ihr umdrehte und sie wütend fixierte.
„Wo warst du fünf Stunden lang?“, fuhr er sie an. „Das Mädchen sagte, du seist seit elf weg“, fügte er hinzu, als sie verdutzt auf ihre Armbanduhr schaute.
„So lange war ich unterwegs? Ich bin in die Stadt gefahren. Es gibt so vieles dort zu sehen. Die Zeit ist nur so verflogen“, erklärte sie.
„Vor allem, weil du den Bus genommen hast“, sagte er missbilligend. „Das Mädchen hat dir doch gesagt, dass ich den Chauffeur angewiesen hatte, dich zu fahren. Yianis hätte dir die ganze Insel gezeigt – und deine Einkäufe getragen“, ergänzte er mit einem Blick auf ihre Einkaufstaschen. „Ich dachte schon, dir wäre etwas zugestoßen. Du bist fremd auf Mykonos, und ein paar von den Bars hier solltest du besser meiden.“
Sein tadelnder Ton ärgerte Tahlia. „Ich bin schon ein großes Mädchen, ich kann allein auf mich aufpassen.“
Ahnte sie überhaupt, wie jung sie aussah, mit dem ungeschminkten Gesicht und dem Pferdeschwanz? Thanos konnte sich nur zu gut vorstellen, welches Interesse sie in abgeschnittenen Jeansshorts und T-Shirt mit Spaghetti-Trägern bei der männlichen Bevölkerung von Mykonos erregt hatte. In ihm regte sich der Höhlenmenschinstinkt, und er würde sie am liebsten in den höchsten Turm einsperren.
„Während des Studiums bin ich in zwei Sommern mit dem Rucksack durch Europa getrampt. Glaub mir, ich erkenne die Lokale, um die man besser einen Bogen macht. In denen habe ich nämlich – unter anderem – gearbeitet“, erklärte sie.
„Als was?“, fragte er neugierig.
„Hauptsächlich als Kellnerin. In Spanien habe ich auch mal in einer Crêperie gearbeitet – bis ich die Küche fast in Brand gesteckt hätte und der Küchenchef mich gefeuert hat“, erzählte sie erheitert. „Hinter der Theke war ich besser als in der Küche. Ich bin auch Putzen gegangen, um mir das Geld für das nächste Semester zusammenzusparen.“
Thanos runzelte die Stirn. „Haben deine Eltern dich denn nicht finanziell unterstützt?“
„Das konnten sie sich nicht leisten. In Carlton House waren vor ein paar Jahren nach einem Sturm massive Reparaturarbeiten erforderlich. Die Kosten waren geradezu astronomisch. Aber mir macht es nichts aus, selbst für mich zu sorgen, im Gegenteil. Ich habe nie erwartet, dass ich alles auf dem Silbertablett serviert bekomme.“
Die Tahlia, die er langsam kennenlernte, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Party-Girl, das die Regenbogenpresse aus ihr machte. Thanos versuchte sich vorzustellen, wie sie mit einem Tablett voller Getränke Gäste in schummrigen Kneipen bediente. Er erinnerte sich gut an die lächerlich
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