Weiberabend: Roman (German Edition)
Mütter sind von einem Zaun aus Erwartungen eingeschlossen, dass wir alles bewältigen, selbst, wenn wir es nicht können; dass wir verzichten, um für unsere Kinder sorgen zu können, selbst dann, wenn wir vor lauter Schmerz keine Luft mehr bekommen. Die Anweisung der Fluglinien für den Fall, dass der Kabinendruck plötzlich absinkt und Sauerstoffmasken von der Decke fallen, lautet: Setzen Sie erst selbst eine Maske auf und kümmern Sie sich dann um die Kinder. Denn sonst schweben alle in Lebensgefahr. Wir könnten eine neue Theorie des Mutterseins gebrauchen, die auf diesem klugen Prinzip basiert. Manchmal verlangt das Überleben, dass man den Altruismus opfert. Nicht immer du zuerst, sondern manchmal auch ich zuerst. Ich will alle diese Gedanken meinen Freundinnen mitteilen, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Tam versteht mich absichtlich falsch, oder sie will einfach nicht hören, was ich zu sagen habe. Ich versuche es noch einmal.
»Was wäre mit Gabriel geschehen, wenn Kirsty und Fionas Mutter nicht eingesprungen wären?«
Tam zuckt mit den Schultern. Fiona sagt: »Ben hätte sich um ihn kümmern müssen, oder ein Kindermädchen.«
»Was, wenn Fiona keinen Ben gehabt hätte? Was, wenn er den Tom gemacht und sie sitzengelassen hätte, als sie schwanger war? Was wäre dann mit Gabriel geschehen?«
»Pflegefamilie«, sagt Fiona.
»Mütter wie wir sind in der Minderheit – die meisten Frauen auf der Welt haben nicht unsere materiellen Möglichkeiten. Ich zum Beispiel habe hier kein Netzwerk, das mich unterstützen würde – abgesehen von euch –, falls ich in einer Depression versinken würde. Was ich damit sagen will: Es ist Verzweiflung, die eine Frau dazu treibt, sich oder ihre Kinder umzubringen. Und keine Frau sollte jemals so verzweifelt sein.«
Einige Köpfe nicken zustimmend. Nach dieser Konfrontation bin ich erhitzt und überreizt. »Ich brauche ein bisschen frische Luft«, sage ich.
Ich stehe auf, öffne die Balkontür, schließe sie hinter mir, atme die kühle Nachtluft ein und umklammere mit beiden Händen die metallene Brüstung. Das Balkongeländer hat die Kälte der Nacht in sich aufgenommen. Umgeben von all den Insignien eines Erste-Welt-Landes glauben wir, Mutterschaft sei wie Grundbesitz – sie bedeute nur etwas, wenn sie einem exklusiv und ganz allein gehört. Die Ureinwohner dieses und anderer Länder haben ein besseres Verständnis von Land. Es ist für alle da, ein Raum, den wir alle nutzen und teilen. Mit gemeinsamer Verantwortung und gegenseitiger Unterstützung.
Hinter mir geht die Balkontür auf. Es ist Dooly.
Sie bleibt eine volle Minute lang stumm neben mir stehen, bevor sie fragt: »Und, hast du je daran gedacht?«
»Woran?«, frage ich.
»Na ja, du weißt schon … dich deiner Kinder zu entledigen?«
Ich lache. »Bist du verrückt? Ich kann ehrlich behaupten, dass ich noch nie daran gedacht habe. Ich habe davon geträumt, mal eine Woche Urlaub von ihnen zu machen, oder jemanden zu haben, der mir hilft, sie zu füttern und abends zu baden, aber mehr auch nicht.«
Sie lächelt schwach. »Wenn sie in diesem völlig wahnsinnigen, irrationalen Zustand sind – hast du dir da nie vorgestellt, wie es wäre … frei zu sein?«
Ich sehe sie an. Sie will mir irgendetwas sagen. Ich will sie nicht verurteilen. Also wähle ich meine Worte mit Bedacht.
»Nein … eigentlich nicht … Manchmal wünsche ich mir, eine Weile ohne sie zu verbringen, aber ich sehne mich nicht danach, sie loszuwerden. Und du?«
»Ich frage mich manchmal, ob es nicht leichter wäre, wenn wir einfach alle bei einem Autounfall ausgelöscht würden, oder bei einem Flugzeugabsturz. Du weißt schon, wenn einem manchmal alles zu schwer erscheint …«
»Es ist schwer, ein Mensch zu sein«, sage ich. »Und noch schwerer, eine Mutter zu sein …«
Sie antwortet nicht. Sie wirft mir nur einen Blick voll erschreckendem Flüstern zu.
Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter. »Tu dir das nicht an«, sage ich. »Es ist normal, sich gefangen und in die Ecke gedrängt zu fühlen. Das ist es wirklich.«
Sie nickt.
»Sag kein Wort mehr«, sage ich leise. »Du wirst nur missverstanden. Sogar hier.«
»Ich habe gar nichts gesagt«, entgegnet sie.
Ich drücke ihre Schulter, und gemeinsam stehen wir da und blicken in die leere Nacht hinaus, die tolle Aussicht in Dunkelheit gehüllt, und spüren den Verlust von etwas, das wir beide kaum begreifen.
19 Der Terminator
A ls Dooly und ich nach drinnen in die
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