Weiberabend: Roman (German Edition)
wiederholen.«
Ich kann meine Erleichterung und Dankbarkeit nicht unterdrücken. Eine Überlebende der postpartalen Depression. Eine wahrhaftige Überlebende. Mitten unter uns. Ein solches Geheimnis in unserer Mitte, wie ein gehütetes Ei, das aufgebrochen ist und seinen rohen Inhalt offenbart hat. Ich sehe Fiona voller Zuneigung an. Sie ist die Art von Mutter, die ich gern wäre, aber ich beneide sie nicht um die Schuldgefühle, die sie wegen dieser zwei kostbaren, verlorenen Jahre mit sich herumtragen muss. Ich halte die Erinnerungen an meine erste Zeit mit meinen Kindern gut fest, voll leidenschaftlicher Nostalgie hüte ich diese grenzenlose Nähe und reine menschliche Intimität zwischen Mutter und Kind, diese Berührung und Liebe, frei von den zynischen Beschränkungen des Genug.
Fionas kleines Geheimnis, verborgen hinter dem nächsten Geheimnis, dass sie raucht, das wiederum von all ihren ätherischen Ölen vernebelt wurde. Da hat sie ganz schön was zusammengebraut, aber wir alle müssen letzten Endes einen Weg finden, zu überleben. Jetzt empfinde ich hauptsächlich Traurigkeit, wenn ich Fiona ansehe, die Traurigkeit von jemandem, der zu viel weiß. Weiß sie wirklich, was sie verloren hat? Ja, natürlich. Sie verprügelt zweimal die Woche einen Boxsack.
»Aber du wärst nie auf den Gedanken gekommen, Gabriel etwas anzutun?«, fragt Tam.
»Ihm nicht, aber mir. Manchmal war ich schon suizidal …«
»Es ist ein großer Unterschied, ob man Selbstmord begeht oder seine Kinder umbringt. Wir haben das Recht, mit unserem eigenen Leben zu verfahren, wie wir es für richtig halten, aber wir haben keinerlei Recht, unseren Kindern etwas anzutun«, faucht Tam.
»Betrachten sich Mütter denn als von ihren Kindern getrennte Wesen?«, fragt Dooly sie vorsichtig. »Vielleicht verschwimmt bei Müttern die Grenze zwischen ihrem Selbst und dem ihrer Kinder …«
»Aber wir sind getrennte Wesen, und ganz gleich, was wir uns selbst antun, wir haben nicht das Recht, das auch ihnen anzutun«, beharrt Tam.
»Was denn zum Beispiel?«, fragt Helen.
»Zum Beispiel Drogen nehmen. Ich werde furchtbar wütend, wenn ich schwangere Frauen sehe, die Kokain oder Heroin nehmen oder sich bis zum Leberversagen betrinken und damit praktisch ihre ungeborenen Babys zu Krüppeln machen.«
»Wenn du also während der Schwangerschaft unter einer Depression gelitten hättest, hättest du keine Medikamente genommen, weil sie dem Baby hätten schaden können. Aber jetzt, da deine Kinder aus dem Bauch raus sind, ist es in Ordnung, Pillen zu schlucken, weil die Kinder nichts davon abbekommen?«, fragt Liz. Tam muss das Prozac inzwischen bereuen.
»Genau«, sagt Tam, als hätte Liz gerade ihre gesamte Lebensphilosophie treffend zusammengefasst.
»Und wenn du während der Schwangerschaft so depressiv geworden wärst, dass du Selbstmord begangen hättest«, frage ich. »Hättest du dann warten sollen, bis das Baby geboren ist, bevor du dich umbringst?«
»Das ist doch lächerlich«, sagt Tam.
»Ich versuche nur, deine Logik nachzuvollziehen«, dränge ich sie.
»Mütter haben KEIN RECHT, ihren Kindern zu schaden«, sagt Tam, und ihre Stimme wird ein wenig schrill. »Das ist ein unantastbarer Grundsatz. Ganz egal, was sie durchmachen.«
»Kinder sind also wichtiger als ihre Mütter?«, frage ich.
»Ja, das sind sie. Sie sind hilflos und unschuldig und haben ein Anrecht auf unseren Schutz«, sagt Tam.
Ich will ihr ja nicht aus Prinzip widersprechen, aber diese Ansicht der Mutterschaft hat etwas sehr Herausforderndes. Es ist diese zwingende Überzeugung, dass eine gute Mutter, trotz all des Geredes von wegen »auf sich achten«, eine selbstlose Mutter ist. Wir alle würden lieber zu unserem eigenen Schaden unsere Bedürfnisse verleugnen, um nur ja nicht als »egoistisch« verdammt zu werden. In Tams Augen stehen Kinder in der Hierarchie der Existenz über ihren Müttern. Aber auf einer solchen Hierarchie Mütter gegen Kinder auszuspielen, ist unaufrichtig. In symbiotischen Beziehungen bedeutet der Tod des Wirtes zugleich den Tod des Parasiten. Als ich vor vielen Jahren als Anwältin für misshandelte Ehefrauen tätig war, musste ich irgendwann einsehen, dass die einzige Garantie, Kinder vor Gewalt und Missbrauch zu schützen, darin bestand, die Mütter zu schützen. Denn sonst besteht immer die Gefahr, dass Kinder verletzt werden – nicht nur von tobenden Vätern, sondern auch von ihren eigenen verzweifelten, gebrochenen Müttern.
Wir
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