Weibliche Lust ohne Tabus
Schauer über den Rücken oder ein sanftes Streicheln an den richtigen Stellen. Und dann wieder lieben wir es, kräftig »durchgeknetet« zu werden (Blaue Flecken? Egal!) und die Kratzspuren von Fingernägeln auf der Haut zu spüren (Blutet? Macht nichts!). Die Übergänge von federleichten Zärtlichkeiten zu fast brutalen Berührungen sind im Verlauf der Luststeigerung oft fließend. Denn auch Schmerz ist ein sensorischer Reiz, auf den Menschen zuweilen sehr »leidenschaftlich« reagieren. Entscheidend ist, wie man mit wem die Wege der Lust erkundet.
Wer hat das nicht schon erlebt? Ein Date mit dem Traummann schlechthin: Groß, schlank und gut gebaut, mit kantigem Gesicht, dichtem Haar und umwerfendem Charme. Die Freundinnen sind grün vor Neid! Alles Mögliche hat man sich ausgemalt. Und dann ist es so weit: Die ersten Zärtlichkeiten, wollüstige Zungenküsse, intimste Berührungen und die Aussicht auf wundervollen Sex. Von zartem Streicheln und sanftem Handspiel über zärtliches Kraulen und Kneten bis hin zu lustvollem Kratzen und Beißen. Klingt toll! Doch dann …: Keine Spur von süßem Schmerz, sondern eher bittere Enttäuschung. Zärtliche Streicheleinheiten fühlen sich trotz seiner schönen Hände an wie das belanglose Getätschel zwischen zwei Fußballkumpels. Beim Küssen hatte man eher das Gefühl, in einen Schwamm gebissen zu haben. Seine Zunge im Bauchnabel kribbelt nicht im Mindesten so schön wie das berühmte Weizenbier aus dem Werbespot (das auch der verführten Französin im Nachhinein offenbar lieber war als Protagonist Harald persönlich). Dass man nach dem Liebesspiel einen Liter Speichel im Ohr zwangsläufig als erotisierend empfinden muss, steht nirgendwo geschrieben. Sein Körpergeruch war auch nicht unbedingt eine olfaktorische Offenbarung. Und dieses Herumgesauge am Hals …! Verwechselt er mich etwa mit einem verstopften Ausguss?
So kann es geschehen, dass sich der vermeintliche Traummann bei zunehmender Intimität durch proportional abnehmende Erotik auszeichnet. Das kann passieren, und man muss dem auch letztlich keine Träne nachweinen. Im Gegenteil: Die eine oder andere Freundin (vorher noch grün vor Neid) wird darüber erleichtert und möglicherweise sogar entzückt sein. Und man kann in diesem Fall den »Stab« getrost weiterreichen. Denn es kann durchaus sein, dass der vermeintliche Adonis schon ein paar Wochen später von dem scheinbar unscheinbaren Bürohengst verdrängt wird, der seinen Lunch immer im selben Lokal einnimmt wie man selber. »Eigentlich gar nicht mein Typ«, denken Sie. »Irgend so ein Spießer, ohne Fantasie und Sex-Appeal.« Bis Sie dann schließlich doch einer seiner zahlreichen Einladungen mitleidsvoll nachgeben (man ist ja kein Unmensch) und sich mit ihm zum Abendessen treffen. Die Gespräche waren überraschend unterhaltsam. Anschließend begleitet er Sie (ganz Kavalier) nach Hause, und leicht beschwipst lassen Sie sich vor der Haustür von ihm küssen.
»Hoppla!« denken Sie, als plötzlich Schmetterlinge im Bauch flattern und Ihnen leicht und wunderbar schwindelig zumute wird. Sie hören sich sagen: »Magst du nicht noch auf einen Kaffee mit hochkommen?« Und erleben die wunderbarste Nacht Ihres Lebens: Heiße Küsse, zärtliche Berührungen, die sich zu ekstatischem Begehren steigern, ungezügelte Leidenschaft und komplette Hingabe. Wenn alles stimmt, analysiert man nämlich nicht mehr viel. Man überlegt nicht, ob einem das Küssen gefällt oder nicht, wie oder wo man den anderen berühren muss oder was man jetzt vielleicht nicht sagen oder tun sollte. »Kratz misch! Beiss misch! Gieb mir Tiernamen!«, sagte das liebestolle Stinktier Pepe aus dem Warner Brothers Trickfilm mit seinem unvergessenen französischen Akzent. Beim vermeintlichen Adonis hat man nach der wilden Leidenschaft eines Tigers (vergeblich) gesucht, um sie dann beim unscheinbaren Bürohengst zu finden. Der tierische Vergleich hinkt zwar in diesem Fall ganz arg, aber manchmal versteckt sich der Wolf eben doch im Schafspelz. Und wenn sich ein Mann als inkompatibel mit den eigenen Sensoren und erogenen Zonen entpuppt – und sei er noch so attraktiv –, muss das noch lange nicht heißen, dass das auch für andere gilt. Probieren geht über studieren …!
Aus meiner Sprechstunde
1. Brustkrebs: Lust oder Verlust?
Einer meiner Patientinnen, die seit 25 Jahren in einer festen und auch sehr erotisch aktiven Beziehung lebt, wurden im Zuge einer Krebserkrankung nacheinander beide
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