Weichei: Roman (German Edition)
Schlafzimmertür zu. Ich kenne Steffis Gesicht in allen Facetten, die das Leben so mit sich bringt: erfreut, ängstlich, verstört, traurig, und ohne mich besonders beweihräuchern zu wollen, durchaus auch ekstatisch erregt. Aber das maskenhafte
Lächeln, das sich mir in diesem Moment bot, wird mir wohl ewig in Erinnerung bleiben. Eine Mischung aus spastischer Verkrampfung und peinlicher Berührtheit. Einen ähnlichen Ausdruck hat meine Wangenmuskulatur nur einmal im Alter von sechzehn Jahren auf mein Gesicht kontrahieren können, als mein Vater mich mit einer korsischen Austauschschülerin unserer Schule im Tischtenniskeller erwischte und ich die Hose in Höhe der Kniekehle geparkt hatte.
Doch das war in der Pubertät, und wir standen nicht im Tischtenniskeller meines Vaters, sondern in dem Schlafzimmer, in dem wir seit sieben Jahren miteinander schliefen. Steffi lag im Bett, die Decke bis zu ihrem Kinn heraufgezogen. Neben dem Bett die gut ein Meter große Kuschelvariante einer grünen Shrekfigur, die ich ihr vor einem Jahr im Schweiße meines Angesichts auf dem Schützenfest erkämpft hatte und die nun ebenso paralysiert wie ich auf das IKEA-Rattanbett starrte. Denn falls Steffi in den letzten achtundvierzig Stunden, in denen ich sie nicht gesehen hatte, keine Blitzschwangerschaft durchlebt hatte, war die große Rundung unter der Federdecke kein Bauch, sondern eine weitere Person, die sich dort vergeblich zu verstecken versuchte. Die groteske Situation spitzte sich sogar noch zu, als der Mann unter der Decke hervorkroch, mir zunickte und einen Guten Morgen wünschte. Dabei lachte er verschämt und legte seine monströse Zahnsammlung frei, die so perfekt weiß und exakt angeordnet war, dass man spontan Lust bekommen konnte, Klavier spielen zu wollen.
Das Klaviergesicht passte erstaunlich gut zu einem von Steffis Lufthansakollegen, den sie mir mal auf einer Feier vorgestellt hatte und der, glaube ich, Claus hieß, Claus mit C.
Ein Pilot.
Steffi schwärmte schon damals, dass er ein ganz netter
Kerl mit tollem Charakter und inneren Werten sei. Dann stand Claus mit C aus dem Bett auf, ging splitternackt an mir vorbei ins Bad, und ich musste erkennen, dass seine inneren Werte geradezu verschwindend gering gegenüber seinen äußeren Werten wirkten. So beeindruckt und desillusioniert zugleich, richteten Shrek und ich beschämt den Blick zu Boden. Steffi hatte mich im Streit oft als zu soft beschimpft, als zu wenig männlich. Dass Männer ab und an auch mal Arschlöcher sein müssen. Aber dass sie sich diesem schleimigen Macho in Uniform vor das Mega-Gemächt wirft, hätte ich nie gedacht.
Obwohl diese Begegnung gerade mal zwanzig Minuten her ist, bin ich noch immer von meiner Selbstbeherrschung begeistert, in der ich nur wortlos den grünen Oger aus dieser Situation rettete und den Schlüssel auf den Tisch legte, um im Anschluss stillschweigend die Wohnung zu verlassen. Im Treppenhaus spielten sich in meinem Kopf noch Szenarien ab, in denen ich Claus in bester Bruce-Willis-Manier vermöbelte und sogar noch ein Yepeahyeah Schweinebacke hinterherrief.
Doch bin ich weder Bruce Willis noch besonders heldenhaft und schon gar kein Schlägertyp.
Ich bin eher ein Oger.
Genau wie Shrek.
Friedliebend.
Mit schlecht sitzenden Klamotten.
Und manchmal zu wohlerzogen oder einfach auch nur zu dämlich, um jemand wohlverdient in den Arsch zu treten.
Im Rückspiegel hat ein verschüchterter Shrek seine Trompetenohren angelegt und schaut mich aus seinen traurigen Knopfaugen an. Was er in den letzten Stunden mit ansehen
musste, wird sich unauslöschbar in das Hirn des grünen Wesens eingebrannt haben. Hinter mir hupt es, und als ich gerade mein Auto in Bewegung setzen will, schaltet die Ampel wieder zurück auf die Sonderfarbe »Capri-Sonne Kirschrot«.
Zu spät. Ich muss erneut warten. Genau wie im Leben. Ich war zu spät, um ihr die Frage der Fragen zu stellen und zu früh für das gemeinsame Frühstück. Ich war zu weich und sein Penis zu hart, um sie für ein Leben mit mir zu gewinnen. Das war es dann mit dem Frühstück, Stefanie und der Verlobung. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben … Oder ein Mann mit mächtigem Glied und einem Gebiss wie ein frisch gestrichener Gartenzaun.
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Ciao, Steffi – Hallo, Leben
I ch fühle mich wie ein Schoko-Adventskalender am 25. Dezember. Leer und überflüssig. Daher verbringe ich die nächsten Tage damit, wie ein Linienbus zwischen meiner und Steffis Wohnung zu pendeln.
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