Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
dass Gott sich einfach einer Frau »bedient«, ohne dass sie die Wahl hätte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Mit jeder Schwangerschaft geht eine Frau das Wagnis der Verwundbarkeit ein. Gott wünscht sich, dass die Mutter Jesu Christi dieses Wagnis aus freien Stücken eingeht. Aus diesem Grund erzählt das Lukas-Evangelium, wie Gott sich Maria zuwendet und nach ihrer Zustimmung fragt. Ein Engelkommt und holt ihr Einverständnis dafür ein, dass sie die Mutter Gottes wird und Jesus zur Welt bringt, ihm Fleisch und Blut verleiht (Lk 1,26–38).
Der Engel eröffnet seinen Besuch – seine »Heimsuchung«, wie dieses Ereignis traditionell genannt wird –, indem er Maria achtungsvoll grüßt. »Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mir dir.« (Lk 1,28) Engel sind erstaunliche Wesen. Sie haben keinen Körper, sind aber dennoch wahrnehmbar – zu sehen und zu hören für Menschen, denen sie sich offenbaren. Sie vermitteln zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch, Frauen und Männern. Sie sind keine Stimme aus dem Off. Hier geht es vielmehr um etwas Unerhörtes, das erhört werden will. Maria ist herausgefordert zu hören, wo kein Mensch ein Wort sagt; eine Anwesenheit zu spüren, die nicht sichtbar ist, sie aber trotzdem anspricht und eine Antwort erbittet; auf die Zeichen einer Ankunft zu achten, die noch im Verborgenen ruht. Sie ist umfangen vom Kommen des Geistes in ihren Körper, in den niemand eingedrungen ist. Die Philosophin Luce Irigaray beschreibt diesen Prozess eindrücklich und weitet ihn auf alle aktiv Empfangenden, alle »Marien« aus:
»Es ist zuweilen schwer, nicht zu verstehen. Das Leben, das man in sich trägt, zu akzeptieren, ohne seinen Ursprung zu kennen. Die Bewegungen zu spüren, die dich beleben, ohne zu wissen. Von Freude oder Schmerz getroffen zu werden, ohne diesen Moment vorauszusehen noch zu wählen. Sich für ein Ereignis bereit zu halten, dessen Fälligkeit einem entgeht. Sich von einem Vorbeikommen zeichnen zu lassen, dessen Fruchtbarkeit man nicht kennt. Schwer, Maria zu bleiben, mögliche MutterGottes, ohne es wirklich gewollt noch erwartet zu haben. Ohne sicher zu sein, die notwendige Kraft, Hoffnung und das Vertrauen zu besitzen, um sich beim Empfang nicht zu verschließen. Um nicht auf die Treue gegenüber einer Ankunft zu verzichten. Die Gnade empfangen, das war noch gut! Aber sie auszutragen, in der Dunkelheit und dem Schweigen, das ist unendlich schwierig.« (Irigaray 1997, 111)
Wenn Menschen einander begegnen, so grüßen sie sich. Das ist für das menschliche Zusammenleben wichtig, denn es drückt Respekt und Wertschätzung aus. Wer mich grüßt, schaut mich an und verleiht mir Ansehen. Wer grußlos an mir vorbeigeht, schenkt mir keine (Be-)Achtung. Von Gott gegrüßt zu werden umfasst diesen menschlichen Gruß und geht zugleich über ihn hinaus. Denn dieser Gruß ist Wort Gottes. In ihm ist die Lebensmacht wirksam, die die Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments beschreibt: »Es werde!« Vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, mit welchem Wort Maria nach einigem Hin und Her ihre Zustimmung gibt. 5 Das griechische Wort »gignomai«, im Lateinischen »fiat«, ist das Wort aus der Schöpfungsgeschichte, wo es heißt: »Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht.« (Gen 1,3) Genauso antwortet Maria: »Es werde mir gemäß deinem Wort.« Die Zustimmung Marias ist kein resignierendes Ja-Wort, das sich in das unveränderliche Schicksal eines Opfers fügt. Vielmehr ist es ein Ja zum »Es werde«, zur schöpferischen Macht Gottes, die neues Leben hervorruft. 6
Wenn man die Einheitsübersetzung liest, so kann man diesen entscheidenden Punkt leicht übersehen. Die Einheitsübersetzung ist ökumenisch und wird daher häufigverwendet. Hier heißt es: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.« (Lk 1,38) Die »Magd des Herrn« erinnert an Geschlechterstereotypen, die den Männern das Herrschen und den Frauen das Dienen zuordnen. Aber mit »Herr« sind nicht die Herren der Welt gemeint, sondern Gott allein. Maria ist Gottes »Magd«, d. h. sie stellt sich in den Dienst seiner Menschwerdung. Sie spricht kein resigniertes »mir geschehe«, sondern sie selbst spricht das Wort der Schöpfung: »Es werde«.
Maria, eine junge Frau, stellt wie jede Mutter ihren Körper zur Verfügung, damit dieses neue Leben wachsen und selbst lebensfähig werden kann. Dennoch sind Schwangerschaft und Geburt keine ausschließlich
Weitere Kostenlose Bücher