Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
körperlichen Angelegenheiten. Sie sind eine körperlich-geistige, eine spirituelle Herausforderung. Unvorhergesehene Dinge werden sich ereignen. Niemand hat das unter Kontrolle, was aus diesem noch unansehnlichen Leben später in der Welt werden wird. Es wird ein eigener Mensch sein, dessen Leben nicht plan- und berechenbar ist. Wenn eine Frau freiwillig Ja sagt zu einem Kind – und heute haben viele Frauen die Möglichkeit, Ja oder Nein zu sagen –, dann steht sie vor einer schöpferischen Herausforderung. Auf sie kommt eine gewagte Hingabe zu.
Jede Schwangerschaft kann scheitern. Das Kind kann verletzt sein, schon im Körper sterben, während der Geburt können irreversible Schäden entstehen. Auch die werdende Mutter kann Schaden erleiden an Leib und Leben. Diese Tatsache tritt in unserem Kulturkreis nicht mehr so deutlich zutage, ist aber dennoch eine Realität: Jede Schwangerschaft und Geburt gefährdet das Lebender Mutter. Sie hat Schmerzen zu befürchten, die sie an die Grenze des Erträglichen treiben. In vielen Geburten gibt es einen Moment, wo die Mutter denkt, dass sie zerrissen wird und sterben muss. Jede Geburt führt an die Grenze des Lebens. Schwangere wissen um diese Gefahren, die in ihrem »Zustand« lauern, und spüren sie am eigenen Leib. Zugleich ist klar: Das Leben geht nur dann weiter, wenn Frauen dieses Risiko der Geburt eingehen. Das verletzliche Leben, das zunächst nur aus wenigen Zellen besteht, birgt ungeahnte Chancen. Ein Kind kann die Welt verändern.
Die Hingabe, auf die sich Maria mit ihrer Schwangerschaft einlässt, ist besonders gewagt. Die sozialgeschichtliche Forschung besagt, dass sie aus einer finanziell ärmeren Bevölkerungsschicht kommt, weil sie zu Jesu Beschneidung nicht eine teure Ziege oder ein Schaf, sondern zwei Tauben mitbringt (vgl. Lk 2,24). Marias Lebenssituation stellt sie vor viele bange Fragen. Diese Stimme, die sie gehört hat – war sie wirklich eine Stimme des Himmels oder doch Einbildung und Trug? Wie soll sie das Kind ernähren? Was wird ihr Verlobter zu dieser Schwangerschaft sagen, die aus heiterem Himmel kommt? Wird sie mit sozialer Ächtung gestraft – oder muss sie samt ihrem Ungeborenen gar die Steinigung befürchten, weil das Kind unehelich ist? Maria lebt in einem gefährlichen Rechtszustand. Der Evangelist Lukas nennt sie noch in der Weihnachtsgeschichte, also zur Zeit der Geburt, Josefs »Verlobte« (Lk 2,5).
Den Weg der Verwundbarkeit gehen – mit Risiken und Nebenwirkungen
All diese Unsicherheiten, Fragen und Zweifel bringen Maria nicht von ihrer Zustimmung ab. Sie weiß, dass ihre Entscheidung mit Risiken und Nebenwirkungen reich bestückt ist. Um des neuen Lebens willen ist sie bereit, große Opfer zu bringen. Das Großwerden des Kindes wird sie auch erforderlich machen. Dies ist ein heikler Punkt, weil Opfer immer einen Verlust oder auch einen Schmerz mit sich bringen. Daher hat das Wort »Opfer« zunächst eher einen negativen Klang. Es wird assoziiert mit Unterwerfung, Selbstverleugnung, freudlosem Leben. Zudem wird in der patriarchalen Geschlechtertypologie von Frauen besondere Opferbereitschaft in diesem Sinn erwartet. Und dennoch ist es offensichtlich, dass es Opfer braucht, wenn Menschen schöpferisch, kreativ werden und sich in den Dienst des Lebens stellen wollen.
Daher ist eine Unterscheidung hilfreich, die es in der deutschen Sprache nicht gibt, wohl aber in der englischen. Hier unterscheidet man zwischen »victim« und »sacrifice«. Victim bedeutet, dass man Opfer von etwas wird: Ein Unfall, eine Katastrophe, eine Krankheit, ein Überfall fügen eine Verwundung zu. Hier ist man passiv erleidend, es passiert einem oder es wird von Anderen erzwungen. Das Sacrifice hingegen ist etwas Aktives. 7 Um eines höheren Zieles willen stellt man Anderen freiwillig eigene Ressourcen zur Verfügung: Zeit, Lebensmittel, Zuwendung, Geld, Energie, Kreativität. Die gewagte Hingabe Marias ist ein solches Sacrifice. Es ist nicht unterwürfig, auch wenn es victim-Anteile hat: Obwohl sie schwanger ist, muss sie beschwerliche Wege auf sich nehmen und in die Fremde gehen, später sogar überstürzt fliehen. Dennoch geht ihr Sacrifice nicht im Victim auf. Sie ist vielmehr eine freiwillige Gabe an das Leben, die überraschende Wirkungen hat. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Engel kommt und ihre Zustimmung einholt. Andernfalls würde Gott sie zum Victim machen, das zusehen kann, wie es damit zurechtkommt. Gott will aber Maria nicht zum
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