Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
ist und daraus auch noch ein Kind entsteht. War er selbst der Frau nicht genug? Findet sie ihn nicht attraktiv? Mangelt es ihm an Männlichkeit? Wenn sie schon vor der Eheschließung nicht auf ihn hört und alle Verbote und Tabus bricht, was soll das denn erst in der Ehe werden! Verletzt, gekränkt, ohnmächtig, stinkwütend – so ist die alltägliche Reaktion eines Mannes auf eine solche Situation.
Dabei hat Josef auch noch das Recht auf seiner Seite. Dieser Vorteil ist jedoch zweifelhaft. Josef kann die ohnmächtige Seite seiner Erfahrung umwandeln in eine Tat »voll Macht«. Das damalige Recht verleiht ihm sogar Übermacht, denn er hat die Möglichkeit, über Leben und Tod dreier Menschen bestimmen: das Leben seiner Verlobten, des ungeborenen Kindes und eventuell, in den seltenen Fällen, des leiblichen Vaters. Selbst wenn der andere Mann sie sexuell genötigt oder gezwungen hat, ist sie primär in Lebensgefahr. »Wenn ein unberührtes Mädchen mit einem Mann verlobt ist und ein anderer Mann ihr in der Stadt begegnet und sich mit ihr hinlegt, dann sollt ihr beide zum Tor dieser Stadt führen. Ihr solltsie steinigen, und sie sollen sterben, das Mädchen, weil es in der Stadt nicht um Hilfe geschrien hat, und der Mann, weil er sich die Frau eines anderen gefügig gemacht hat.« (Dtn 22,23 f) Falls Josef den anderen Mann kennt, kann er beide anzeigen, falls nicht, zumindest die Frau. Sie selbst und das ungeborene Kind schweben in Lebensgefahr oder stehen zumindest unter der Drohung dieses alten Gesetzes.
Einige Jahre später wird Jesus mit Blick auf eine Ehebrecherin sagen: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.« (Joh 8,7). Ob er wusste, dass er selbst von dieser äußerst grausamen Tötungsform bedroht war, als er noch nicht geboren war, lässt die Bibel offen. Josef konnte entscheidend dazu beitragen, dass Jesus leben kann. Er will es nicht ganz so schlimm kommen lassen, wie das Recht es ihm eventuell zubilligt. Er zeigt Maria nicht des Ehebruchs an, sondern will sie »nur« heimlich entlassen. »Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.« (Mt 1,19) Dieser Formulierung ist die Bemühung des Evangelisten Matthäus anzumerken, Josef in einem positiven Licht darzustellen. Er betont, dass er gerecht war, bevor er sagt, was Josef tun will. Aber was ist gerecht an einer solchen Tat, die Maria zwar nicht umbringt, aber der öffentlichen Schande und gesellschaftlicher Ächtung anheimgibt?
»Diese verdeckte Bevormundung ist charakteristisch für das Patriarchat. Gönnerhafte Liebe nennt man das Liebespatriarchat: Liebe bei Anerkennung der Herrschaft« (Klinger 1997, 39). Anfangs ist Josef in diesem patriarchalen Denken und Handeln befangen. Aber wenn er auch nicht direkt mit seiner Verlobten spricht,so ist er immerhin bereit, über alternative Handlungsmöglichkeiten nachzudenken. »Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.« (Mt 1,20) Josef braucht die Vermittlung eines Engels, dieser Himmelswesen, die in der Bibel vielerorts zwischen Frauen und Männern vermitteln. Als er auf den Engel hört, gehen ihm die Augen auf und er wird zu ganz anderen Handlungen fähig.
Von Beginn an mutet Gott Josef einiges zu. Er muss Gerede, Klatsch und Tratsch befürchten. Er könnte diesen Zumutungen ausweichen, tut es jedoch nicht. Er folgt seiner Berufung, obwohl sie ihn verwundbar macht. Und dann kommt alles noch viel schlimmer. Aus fiskalischen Gründen kann er nicht zuhause bleiben, denn der Kaiser Augustus hat die Eintragung in Steuerlisten befohlen. Josef muss sich zusammen mit Maria auf den Weg in seinen Geburtsort machen, obwohl dies das Leben von Mutter und Kind gefährdet. Maria ist hochschwanger. Der mühsame Weg ist riskant.
Josef bekommt dies zu spüren, als die kleine Familie keinen Platz in der Herberge findet. »Er wird für die Unterkunft gesorgt haben unterwegs, mit nicht sehr großem Erfolg, wie man weiß. Alles ist überbelegt, die zu Zählenden drängen sich in der Nähe der Hauptstadt, es bleibt in der Herberge nur ein Stall« (Gregor-Dellin 1982, 120). Für einen Vater, der ein guter Vater sein will, ist es schwer, wenn er seiner Familie nicht die Lebensressourcen und den Schutz geben kann, den sie braucht. Es schmerzt.
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