Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
Victim machen, sondern erbittet von ihr eine Gabe, die das göttliche Leben eröffnet.
Sowohl die Bibel als auch die späteren kirchlichen Traditionen haben sehr wohl gewusst, dass dieses Sacrifice Marias schmerzliche Opfer einfordert, weil es ohne solche Opfer nicht geht. In der Tradition wird die Mutter Jesu aus gutem Grund »die Schmerzensreiche« genannt: Ihr wird prophezeit, dass ein Schwert durch ihre Seele dringen wird (Lk 2,35); sie muss vor dem König Herodes nach Ägypten fliehen (Mt 2,13–15); sie wird zusammen mit Josef den zwölfjährigen Jesus verlieren und wird ihn drei harte Tage lang auf einem Pilgerweg und in Jerusalem suchen (Lk 2,42–48); sie erfährt eine Zurückweisung durch Jesus während seines öffentlichen Auftretens (Mt 12,46–50); außerdem wird sie miterleben, dass ihr Sohn gefoltert wird, den Kreuzweg gehen muss und auf Golgotha einen grausamen Tod erleidet. In der Kunst wird später dargestellt, dass sie Jesu malträtierten und getöteten Leichnam nach der Kreuzesabnahme auf dem Schoß hält – die Marienfigur der »Pietà«.
Wenn man sich diese verschiedenen Schmerzen anschaut, so verwundert es nicht, dass Maria in der Volksfrömmigkeit eine wichtige Rolle spielt. Sie ist Sinnbild der Frau, die ein Kind zur Welt bringt und damit zur Erneuerung des menschlichen Lebens beiträgt. Die ständige Sorge der Eltern, ob ihr Kind sich auch wirklich gut entwickelt und dass es ihm wohl ergeht, begleitet auch Maria. In Diktaturen, wo die eigenen Kinder gefoltert und getötet werden, ist die Pietà eine zentrale Figur: Der unsägliche Schmerz über den Verlust des Kindes und die himmelschreiende Ungerechtigkeit seines Todes finden hier ihren Ort vor Gott. Aber auch in anderen alltäglichen Herausforderungen sagt Maria viel über die schmerzliche Seite des Lebens. Selbst Zurückweisungen durch das Kind und damit verbundene Konflikte von Ausschließung und Inklusion werden thematisiert. Maria bleibt nicht unberührt von dem, was ihr widerfährt. Sie ist bereit, den Weg der Verwundbarkeit zu gehen – mit Risiken und Nebenwirkungen.
Aber Maria erfährt nicht nur Schmerzen. Auf der anderen Seite stehen die Freuden und der Jubel, die aus ihrem schöpferischen Ja-Wort erwachsen. Neben dem schmerzreichen Rosenkranz gibt es daher sowohl den freudenreichen als auch den glorreichen Rosenkranz. Sie beschreiben die empfangenen Gaben und preisen die Auferstehung und Geistsendung Jesu. Maria ist auch »die Freudenreiche«: sie empfängt vom Heiligen Geist, sie kann zu ihrer Verwandten Elisabet gehen, sie bringt ein Kind zur Welt und findet den zwölfjährigen Jesus im Tempel von Jerusalem wieder. Mit ihrem Ja-Wort erklärt sich Maria zu einem Sacrifice bereit, das von ihr viele Victims fordert. Dennoch macht dieses Sacrifice sie keineswegs schwächer. Sie erlangt mit ihm eine neue Stärke.
Die Ikonografie kennt vor allem in der Gotik die stolze Maria, die aufrecht dasteht, ihr Kind im Arm hält und es den Gläubigen und der Welt präsentiert. Aber schon in der biblischen Weihnachtsgeschichte ist dieseaufrechte Haltung, die um den eigenen Wert und die eigene Würde weiß, bereits thematisiert. Das zeigt die Erzählung, die sich der Heimsuchung durch den Engel anschließt. Nachdem Maria ihr Ja-Wort gesprochen und der Engel sie wieder verlassen hat, geht sie durch das Bergland von Judäa zu einer ebenfalls schwangeren Verwandten. Ob sie zuvor mit Josef gesprochen hat, bleibt offen. Wichtig ist die Begegnung mit Elisabet. Auch sie ist in keiner leichten Situation, denn sie ist eine alte Frau und wird demnächst ihr erstes Kind gebären. Ihr Mann ist ihr keine große Hilfe, denn er ist sprachlos und bringt kein Wort mehr heraus. Aber aus Maria brechen die Worte nur so hervor, als sie Elisabet begegnet. Sie singt das Magnifikat, ihren großen Gottes-Gesang. »Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.« (Lk 1,47–55)
Hier wird erneut die soziale Verortung deutlich, in der sich die christliche Weihnachtsbotschaft bewegt. Im Reich Gottes ist die Ordnung der Dinge anders, als sie in vielen Gesellschaften vorherrschend ist. Die Hungernden werden satt. Die Reichen genießen
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