Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
Und mit den schwierigen Vorgängen einer Geburt ist Josef wahrscheinlich auch nicht vertraut. Wenn er in der Ikonografie überhaupt genauer in den Blick kommt, wird manchmal gezeigt, wie er sich auf anrührende Weise nützlich zu machen versucht. Schützend beugt er sich über Mutter und Kind, um ihnen Geborgenheit zu schenken. Oder er kniet dicht am Boden, um ein wärmendes Feuer zu entfachen oder für seine Familie zu kochen. Er besorgt etwas zu essen, Brot und kleine Fische, die Armenspeise, wie die Mystikerin Mechthild von Magdeburg im 13. Jh. vermutet. 4
Hier wird das erzählend ausgebaut, was unausgesprochen in der biblischen Geschichte steckt. Josef zeigt eine verblüffende Großzügigkeit. Obwohl er nicht der leibliche Vater Jesu ist, teilt er mit der Mutter und dem Neugeborenen die Lebensressourcen, die ihm zur Verfügung stehen. Dass dies alles andere als selbstverständlich ist, zeigen die vielen Kinder der Menschheitsgeschichte, die vaterlos aufwachsen. Josef aber setzt seine Kräfte und Kompetenzen ein, wo er nur kann. Er gibt, was er hat, ohne danach zu fragen, was für ihn bleiben wird. Er geht Risiken ein um anderer Menschen willen, ohne sich zögerlich darum zu sorgen, womit er dies wird zahlen müssen. Josef ist Zimmermann (vgl. Mt 13,55). Als Bauhandwerker kennt er sich mit Verwundbarkeit aus. Handwerker wissen aus praktischer Erfahrung, dass man das Risiko der Verwundung eingehen muss, wenn man ein großes Werk schaffen will.
Wie riskant sein weihnachtlicher Einsatz ist, zeigt sich in dem Moment, als der Machtzugriff durch Herodes erfolgt. Nun wird es wirklich gefährlich, auch für Josef. Der Evangelist Matthäus stellt das heraus, wenn er betont, dass die Familie Hals über Kopf vom Geburtsortihres Kindes fliehen muss. »Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten […], denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten.« (Mt 2,13) Das ist nun wahrlich alles andere als idyllisch. Eine politische Macht trachtet dem Neugeborenen nach dem Leben. Diese Macht ist bei Weitem mächtiger als der kleine Zimmermann, der seine Wahlfamilie zu schützen versucht. Die Chance der Eltern, dass sie die politisch motivierte Tötung ihres Kindes überleben werden, ist gering. Spätestens jetzt könnte Josef sagen: Was kümmert es mich, es ist nicht mein Kind. Lukas nennt Maria während der Geburtserzählung noch immer »seine Verlobte, die ein Kind erwartete« (Lk 2,5). Er könnte das Todesrisiko meiden, indem er Maria verlässt. Aber das Gegenteil ist der Fall. »Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten.« (Mt 2,14)
Wie Ochs und Esel zur Krippe kommen
Das Neue Testament erzählt nichts von Ochs und Esel an der Krippe. Aber das Alte Testament tut es: »Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn« (Jes 1,3). Die christliche Kunst überträgt diese allgemeine Feststellung auf die Krippe Jesu.
Hingabe wagen. Die Mutter Gottes Maria
Maria und Josef sind die Menschen, die in der Weihnachtsgeschichte das größte Risiko eingehen. Sie setzen ihre Verwundbarkeit aufs Spiel, um Jesus vor Verwundungen aller Art zu schützen. Für sie kann die Bedrohung durch Herodes und die Flucht nach Ägypten tödlich ausgehen. Sie gehen mit ihrer eigenen Verwundbarkeit sowie mit der hohen Verletzlichkeit des Kindes ganz anders um als der aggressive Herodes oder die gleichgültigen Herbergsbewohner. Wie die Hirten und Sterndeuter gehen sie das Risiko ein, verwundet zu werden. Damit werden sie zum Vorbild für das, was einen weihnachtlichen Menschen ausmacht. Dabei nimmt Maria neben dem eher schweigsamen Josef in der Bibel breiten Raum ein. Sie steht im Zentrum von Erzählungen, die die Weihnachtsgeschichten vorbereiten und dann an der Krippe auf den Punkt bringen. Also gehen wir nochmals zurück zum Anfang vor dem Anfang.
Ja Sagen zum Leben – das »Es werde« der Schöpfung
Jedes Kind hat eine Mutter. In der Geschichte haben Frauen zwar nicht immer freiwillig und freudig die Aufgabe übernommen, ein Kind auszutragen und zur Welt zu bringen. Für die Weihnachtsgeschichten ist die Freiwilligkeit dieser besonderen Mutterschaft jedoch ein entscheidender Punkt. Wenn Gott Mensch werden will, dann braucht er eine Mutter. Auch Jesus, der im Christentum als Gottes Sohn verehrt wird, wird daher geboren von einer Frau. Nun könnte man vermuten,
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