Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
Leben leben kann. Sie alle spiegeln das, was Gott in der Inkarnation tut. Gott macht sich klein und verletzlich, um den Kleinen und Schwachen Stärke zu verleihen.
Damit wird der Kern des christlichen Glaubens beschrieben, die Menschwerdung Gottes und der Menschen. »Inkarnation« bedeutet allgemein: in das verletzliche Fleisch, in den Körper hineingeboren werden. Zunächst ist damit der Glaube bezeichnet, dass Gott in Jesus, dem Sohn Marias, Mensch wird. Aber Inkarnation bezieht sich nicht nur auf Jesus Christus. Vielmehr bildet das Ins-Fleisch-geboren-Werden die Grammatik christlicher Existenz. Sie ist die Struktur, die christlichem Denken und Handeln zugrunde liegt. Lässt man die Fleischwerdung beiseite, bricht die christliche Gottesrede zusammen. Christus folgend, liegt die höchste menschliche Berufung in der Menschwerdung im Fleisch, und das heißt: in den konkreten Realitäten der eigenen Zeit. Sie geschieht in der Berufung zur Menschwerdung im Wagnis der Inkarnation.
Wie eben zitiert, sagt das Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche, dass Gott Mensch wird, »um die Menschen der göttlichen Natur teilhaft zu machen« (AG 3). Diese Teilhabe ist nichts Außerirdisches, sondern sie ist eine inkarnatorische Größe. Sie geschieht in einer Praxis der Fleischwerdung. Daher ist die christliche Berufung eine Aufgabe, die Hingabe erfordert, wo es um Verantwortung für die Gestaltung der Welt geht. Sie vollzieht sich in persönlichen Beziehungen, sozialen Verortungen, politischen Herausforderungen und kulturellen Diskursen.
Theologie der Geburt
Im Markus- und im Johannes-Evangelium gibt es keine Geschichte von der Geburt Jesu.
Markus lässt nach einer prägnanten Einleitung die Erzählung mit Jesu öffentlichem Auftreten beginnen; dessen Geburt ist für das älteste der vier Evangelien kein besonderes Thema. 16
Johannes bietet ebenfalls keine Erzählung von den Ereignissen rund um die Geburt. Aber er fasst die Geburt in theologische Begriffe und initiiert so eine Theologie der Geburt: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« (Joh 1,14).
Biblisch meint »Hingabe« das Leben Jesu von Verkündigung und Geburt über sein Wirken als Reich-Gottes-Praktiker bis zu Tod und Auferstehung. Im heutigen Sprachgebrauch wird Hingabe oft als etwas Passives verstanden, wo man letztlich ein Opfer im Sinne von Victim wird: Man erleidet Gewalt. Aber bereits das schöpferische Ja-Wort Marias, das alle Risiken und Nebenwirkungen umfasst, zeigt, dass Hingabe ein aktives Sacrifice sein kann. Auch Jesu hingebungsvolles Leben ist nicht unterwürfig, auch wenn Victims erforderlich sind. Jesus führt vor Augen, dass in der Hingabe an Gott, an die Menschen und die Schöpfung eine Macht am Werk ist, die Leben stiftet, die beflügelt und inspiriert. Diese »Macht aus Verwundbarkeit« 17 erfahren nur diejenigen, die das Wagnis der Hingabe eingehen.
Position beziehen und sich angreifbar machen – die prophetische Reich-Gottes-Praxis Jesu
Im Alter von dreißig Jahren, so sagt es die Tradition, tritt Jesus gezielt in die Öffentlichkeit. Hier führt er das Wagnis der Verwundbarkeit fort, das mit der Inkarnation begann. Auf seinen öffentlichen Auftritt hat Jesus sich gründlich vorbereitet. Im jüdischen Glauben fest verwurzelt, kennt er die prophetischen Traditionen, die die sozialen Ursachen von Armut anprangern und die Stimme gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung erheben. Bevor er seine Tätigkeit als Prediger und Praktiker des Gottesreiches beginnt, lässt er sich von Johannes taufen und fastet vierzig Tage lang in der Wüste. Er ist kein hitzköpfiger Jungspund mehr. Jesus weiß, was er tut. Denn er hat eine Botschaft zu vertreten, die in die Öffentlichkeitdrängt, mit der er sich aber auch selbst in Gefahr bringt: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium.« (Mk 1,15)
Umkehr zu predigen, das ist eine riskante Sache. Man sagt anderen Menschen, was sie zu tun haben. Man sagt ihnen, dass sie in die falsche Richtung laufen und einen Richtungswechsel vollziehen sollen. Vielleicht steckt auch ein Vorwurf darin: Ihr glaubt ja gar nicht richtig an die frohe Botschaft vom Reich Gottes, sonst würdet ihr anders handeln. Das alles kann sehr anmaßend sein. Viele Menschen mögen es nicht, wenn Andere ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Jesus muss sich seiner Position schon sehr sicher sein, wenn er so auftritt und im Namen Gottes spricht. Bald schon wird er
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