Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Titel: Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegund Keul
Vom Netzwerk:
zwischen Ochs und Esel ins Heu gebettet wurde.« 10 Er wählt eine Felsgrotte an einem steilen Berghang bei Grecchio, die alltäglich als Stall genutzt wird. Eine strohgefüllten Krippe mit einem Säugling sowie mit Ochs und Esel zur Seite führt den Feiernden, die aus allen Himmelsrichtungen zu dem Ereignis strömen, die Menschwerdung Gottes leibhaftig vor Augen. Die Krippe Jesu ist ein Ort der Armut. Aber weil Gott an diesem Ort Mensch wird, verwandelt sich dieser Ort. Die weihnachtliche Krippe ruft eine andere Ordnung der Dinge ins Leben. Denn Gott wird nicht in einem wohl geschützten und reich geschmückten Palast geboren, sondern in der verwundbaren Armut einer Futterkrippe im Freien. All das, was mit dem Geburtsort Jesu verbunden ist, verkörpert sich in der Krippe.
    Das Lukas-Evangelium macht diese armselige Krippe zum Ort der Gottesgeburt. Nicht erst das Kreuz Jesu, sondern schon sein Geburtsort ist eine Ungeheuerlichkeit, ein Skandalon, eine Provokation: Der König desHimmels, Gottes eigener Sohn, kommt nicht in reich geschmückten, prunkvollen, großzügig angelegten repräsentativen Räumen eines Palastes zur Welt, sondern dort draußen, wo eine Futterkrippe steht. Er kommt nicht als Königssohn, der mit allen Lebensmitteln und Privilegien ausgestattet wird. Die Krippe verweist darauf, dass Jesus in Verwundbarkeit hineingeboren wird. Dieser Ort auf dem Land macht nichts her. Er ist so unerwartet, dass sich die drei Sterndeuter aus dem Osten erst einmal verlaufen und im Palast des Königs Herodes landen. Dort ist die herrschaftliche Welt des Kaisers Augustus präsent und übt mit Steuerlisten eine Macht aus, die sich an finanziellen Ressourcen und öffentlichem Ansehen orientiert. Aber diese Ordnung der Dinge erhält mit der Krippe eine Gegenplatzierung.
    Jesus kommt als Kind armer, umherziehender Leute zur Welt. Er wird nicht in eine fein gepolsterte Wiege gelegt, sondern in eine Krippe. Aber wenn Gott selbst Mensch wird und in der Krippe Hand und Fuß bekommt, dann verändert sich auch der Ort, an dem dies geschieht. Mit der Krippe schreibt Gott der Armut das Zeichen der Liebe ein, die alles verwandelt. Denn die Inkarnation ist ein Akt der Menschenliebe Gottes, die ungeahnte Reichtümer eröffnet. Indem Jesus in der Krippe zur Welt kommt, wandelt sich diese zu einem Andersort, wo die Ordnung der Dinge eine Wende erfährt. 11 Unter den zerlumpten Hirten und fremden Sterndeutern, die die unerhörte Botschaft von der Ankunft Gottes im Stall erhören, bricht Friede an. Die Armen beklagen nicht ihre Armut, denn ihnen wird der Reichtum der Gottesliebe offenbart. Sie schöpfen Kraft und Lebensmut. Zu Recht werden die Hirten und Magier in Krippendarstellungen als lebendige, ergriffene, bewegte, fröhliche, »liebevolle« Menschen dargestellt. An der Krippe leuchten Lebensperspektiven auf, die ihrem Alltag neue Orientierung und neuen Lebensschwung geben. In der Krippe ist die Verheißung der Auferstehung bereits präsent – und wirksam dort, wo sie Liebe und Frieden stiftet.
    Das Kind in der Krippe
    Im Neuen Testament ist nicht von einem Stall die Rede, aber Lukas erwähnt die Krippe (Lk 2,7). Hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen geschützten Unterstand für Tiere handelt, einem Stall in weiterem Sinn. Matthäus kennt weder Krippe noch Stall. Er spricht bei dem Geburtsort von einem »oikos«, also einem Haus oder einer Behausung (Mt 2,11).
Inkarnation – ein gewagter Akt der Migration
    Bei der Geburt Jesu zeigt sich eine doppelte Potenzierung. Jedes neugeborene Kind ist verwundbar. Mehr noch gilt dies für Kinder, die außerhalb schützender Mauern geboren werden. Und nochmals mehr für Kinder, deren Eltern auf der Flucht sind. Ist Jesus schon als ungeborenes Kind gefährdet, weil seine Mutter mühsame Wege gehen muss, so wächst die Gefahr noch, als seine Eltern wegen ihm und mit ihm fliehen müssen. Die Verwundbarkeit des soeben geborenen Jesus gewinnt ihren Höhepunkt mit der Flucht vor einer politischen Macht und der Emigration in ein Nachbarland. Vulnerabilität ist für alle Migrantinnen und Migranten eine Herausforderung. Selbst wer freiwillig weggeht, weil beispielsweisedie Arbeitsbedingungen woanders besser sind oder weil man dem Ruf der Liebe folgt, setzt sich einer erhöhten Verwundbarkeit aus. Denn man verlässt vertraute Orte und soziale Beziehungen. Aber die Vulnerabilität potenziert sich nochmals deutlich bei Menschen, die fliehen müssen. Sie wissen nicht, ob sie jemals

Weitere Kostenlose Bücher