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Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit

Titel: Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegund Keul
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antwortet er mit einer gewagten Gabe, einer Hingabe seiner selbst. Um die Verwundbarkeit der Welt zu heilen, stellt sich Gott ihr. Indem Gott in einer kenotischen Bewegung Mensch wird, geschieht daher etwas Signifikantes. Das Christentum schreibt der Inkarnation, Gottes Wagnis der Verwundbarkeit, Heilsbedeutung zu. Worin aber liegt dieses Heil?
Die Botschaft von Weihnachten – Selbsthingabe wagen
    An Weihnachten setzt Gott ein Zeichen der Humanität. Denn in Jesus Christus führt er vor Augen, was es heißt, Mensch zu werden und human zu leben. Selbstverständlich ist es wichtig, sich vor Verwundungen zu schützen und Schmerzen gering zu halten. Man kann nicht ständig alle möglichen Risiken eingehen und das Leben leichtfertig aufs Spiel setzen. Selbstschutz ist unverzichtbar. Aber damit ein Leben als »menschlich« zu bezeichnen ist, braucht es zugleich jenes Wagnis der Hingabe, das Leben eröffnet. Menschwerdung vollzieht sich als Praxis der Humanität. Wer aber human leben will, darf das Wagnis der Hingabe nicht scheuen. Dies zeigt das Weihnachtsfest. Gott hat nicht eine verwundbare Welt erschaffen, um sie dann gleichgültig sich selbst zu überlassen – oder sich gar von oben herab interessiert, aber distanziert anzuschauen, was daraus wird. Sondern in Jesus Christus geht Gott selbst das Wagnis der Verwundbarkeit ein.
    Gott wird Mensch und verbindet sich damit auf die innigste Weise, die überhaupt möglich ist, mit den Menschen. Jesus wird hineingeboren an einen bestimmten Ort und in eine bestimmte Zeit. Er lebt in einem sozialen Milieu, seine Familie ist jüdischen Glaubens, sein Volk befindet sich in einer bestimmten politischen Situation. Inkarnation bedeutet, dort wirklich hineinzugehen und sich mitten in den Fragen und Herausforderungen dereigenen Zeit zu positionieren. Mit der Inkarnation erfahren die Menschen Gottes unbedingte Solidarität. Gott lässt sich auf das menschliche Leben ein, nimmt es selbst auf sich und teilt es mit all den Anderen. Gott nimmt die Menschheit an, und zwar im doppelten Sinn des Wortes »annehmen«: Gott wird selbst Mensch und akzeptiert die Menschheit mit all dem, was die Fleischlichkeit ausmacht.
    Im 20. Jahrhundert stellt das Zweite Vatikanische Konzil diesen inkarnatorischen Charakter des christlichen Glaubens heraus. »So hat der Sohn Gottes die Wege wirklicher Fleischwerdung beschritten, um die Menschen der göttlichen Natur teilhaft zu machen; unseretwegen ist er arm geworden, da er doch reich war, damit wir durch seine Armut reich würden.« (Ad Gentes, AG 3) Wenn Gott als Mensch geboren wird, dann verändert das die Menschheit. Das Himmlische schreibt seine Gravuren in das Irdische ein. Mit der Christologie, der Lehre von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, wird »Menschwerdung« daher zum Schlüsselbegriff christlicher Gottesrede. Das Zweite Vatikanum, dessen Theologie wesentlich geburtlich orientiert ist, thematisiert das in seiner Pastoralkonstitution besonders pointiert. Die Menschwerdung der Menschen wird hier christologisch begründet:
    »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. […] Da in ihm die menschliche Natur angenommen wurde, ohne dabei verschlungen zu werden, ist sie dadurch auch schon in uns zu einer erhabenen Würde erhöht worden. Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in der Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mitmenschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich außer der Sünde.« (Gaudium et Spes, GS 22)
    Mit der Geburt Jesu Christi erlangt die menschliche Natur eine neue Würde, denn Gott selbst wird Mensch. Damit geht Gott zugleich auf alle zu, die ebenfalls zur Hingabe im Zeichen der Humanität bereit sind. Aus diesem Grund wird die Gottesgeburt nicht von den Wohlhabenden der Herberge bezeugt, denn sie behalten ihre Lebensressourcen für sich; auch nicht von den Großen am Königshof, die ihre Machtmittel rücksichtslos einsetzen. Zu Zeuginnen und Zeugen der Gottesgeburt werden vielmehr die dahergelaufenen Sterndeuter, die nach riskanten Wegen endlich zur Krippe finden, sowie die Hirtinnen und Hirten auf freiem Feld, die eine besondere Einladung des Himmels erhalten. Genauso wie Maria und Josef sind sie bereit, Hingabe zu wagen, damit verletzliches

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