Weihnachten - Das Wagnis der Verwundbarkeit
Johannes den Täufer vor Augen haben, der ins Gefängnis geworfen und geköpft wird. Er hatte gewagt, die Ehe des Herodes Antipas zu kritisieren: »Du hattest nicht das Recht, die Frau deines Bruders zur Frau zu nehmen.« (Mk 6,18) Die Frau des Herodes hat das offensichtlich so erzürnt, dass sie seine Tötung erzwingt.
Wer sich in die Öffentlichkeit wagt, macht sich generell angreifbar. Das war in Jesu Zeit genauso wie heute, wo man das Phänomen in Politik und Medien allerorten beobachten kann. Die Verwundbarkeit wird potenziert, weil nicht nur die Familie, die Nachbarschaft, der Freundeskreis und die Arbeitskolleginnen und -kollegen mit kritischem Blick beobachten, was man tut. Vielmehr schauen, hören und urteilen auch viele Menschen, die einen gar nicht persönlich kennen. In einer Diktatur hat es besondere Brisanz, bewusst in die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn dieses Auftreten nicht linienkonform ist, kann es den Kopf kosten. Vielleicht entsteht das offeneEngagement sogar im Widerspruch zu dem, was in der Diktatur geschieht. 18 Wenn aber die »Machthaber« auf der anderen Seite stehen, wird es gefährlich, denn sie haben schlagkräftige Kampfmittel. Man braucht schon etwas Besonderes, um in dieser Herausforderung zu bestehen. Vielleicht verdankt sich die Belastbarkeit einer dicken Schutzhaut, die man sich im Lauf der Jahre aneignet, damit sie vor Verwundungen bewahrt. Oder man will diese Dickhäutigkeit gerade nicht, weil man verletzlich und damit berührbar bleiben will.
Ein politischer Revolutionär ist Jesus nicht. Aber er widerspricht einigem, was in seiner Gesellschaft, Kultur und Religion geschieht. Er spricht von Gott in einer Sprache, in die sich die Zeichen der eigenen Zeit einschreiben. Und er kritisiert, wenn Menschen dies nicht tun. »Am Abend sagt ihr: Es kommt schönes Wetter, denn der Himmel ist rot. Und am Morgen: Heute gibt es Sturm, denn der Himmel ist rot und trüb. Das Aussehen des Himmels könnt ihr beurteilen, die Zeichen der Zeit aber nicht.« (Mt 16,2b–3) Im Zentrum des Wirkens Jesu steht das Reich Gottes, von dem er sagt, dass es bereits präsent und wirksam ist. Die Botschaft, die die Engel an Weihnachten den Hirten verkündet haben, fasst im Alltag Fuß: »Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.« (Lk 2,14) Gott die Ehre und den Menschen Frieden – hierfür setzt sich Jesus ein.
Um die bereits aktive Wirksamkeit des Gottesreichs zu sehen und ins Wort zu fassen, braucht es Aufmerksamkeit für das, was in der Gegenwart geschieht. Denn im Reich Gottes geht es anders zu als in einer Gesellschaft, die an öffentlichem Ansehen, an unschlagbarer Finanzstärke und unbedingter Verteidigungsmacht von Herodes-Strategien aller Couleur orientiert ist. »Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes« (Lk 6,20), verheißt die Bergpredigt. Diese provozierende Verheißung ist ein Affront gegenüber einer Gesellschaft, die Menschen allein nach finanziellem Reichtum und öffentlichem Ansehen bemisst und denkt, dass diese Ordnung der Dinge auch vor Gott gültig sei. Diesem Denken widerspricht Jesus, der als mittelloser Wanderprediger vielen Menschen in Not und Bedrängnis begegnet. Seine Taten und Worte sind prophetisch. Sie verweisen kritisch auf Missstände, aber auch positiv verstärkend auf Hoffnungszeichen der Gegenwart. Wo beides geschieht, eröffnet sich Zukunft.
»Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.« (Mk 2,27) Dies ist einer der prägnantesten Sätze, die die Evangelien von Jesus überliefern. Hier meldet sich eine Kritik zu Wort, die bleibende Maßstäbe setzt. Sie ist auf religiöse Rituale genauso anwendbar wie auf profane Institutionen. Auch und vor allem in Religionsgemeinschaften besteht die Gefahr, dass die eigenen Rituale nur noch der Erhaltung der Institution und dem Vorteil ihrer Betreiber dienen. Religiöse, kulturelle und politische Gemeinschaften schaffen Rituale und Institutionen, die vorgeben, den Menschen zu dienen. Faktisch tun sie dies jedoch nicht immer. Wenn man ihnen freien Lauf lässt, nimmt die Dienstfunktion mehr und mehr ab. Dem hält Jesus entgegen, dass die Person im Reich Gottes Vorrang hat vor der Institution. Als Prophet legt er den Finger in die Wunde. Denn machtvolle Institutionen können übermächtig zugreifen. Wer nur über wenige soziale und finanzielle Ressourcen verfügt, kann sich nur schwer gegen solche unsäglichen Zugriffe wehren. Man hat kein Geld, um
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