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Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Titel: Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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die Rhône strömt, die ihren Ursprung unter dem grünen Gletscher, dem Eispalast, hat. Die Eisjungfrau, die darin wohnt, läßt sich vom scharfen Wind zum höchsten Schneefeld tragen und streckt sich im grellen Sonnenlicht auf den zusammengestiebten Polstern aus. Da saß sie auch jetzt und schaute mit weitem Blick in die tiefen Täler, wo sich die Menschen, wie Ameisen auf sonnenbeschienenem Stein, emsig regten.
    »Geisteskräfte nennen euch die Kinder der Sonne«, sagte die Eisjungfrau, »Gewürm seid ihr! Ein rollender Schneeball, und schon seid ihr mitsamt euren Häusern und Städten zerschmettert und ausgelöscht!« Und sie hob ihr stolzes Haupt noch höher und sah mit todblitzenden Augen in die Weite und Tiefe. Doch aus dem Tal drang Lärm herauf, von Felsensprengungen, Menschenwerk; dort wurden Wege und Tunnel für die Eisenbahn gebaut.
    »Sie spielen Maulwurf«, sagte sie, »sie graben Gänge, deshalb klingt es wie Flintenschüsse. Aber wenn ich meine Schlösser versetze, da dröhnt es noch lauter als der Donner!«
    Aus dem Tal stieg ein Rauch und bewegte sich durch das Tal wie ein flatternder Schleier; auf der neueröffneten Eisenbahnlinie zog die Lokomotive mit wehendem Federbusch pfeilschnell den Zug, diese sich windende Schlange, deren Glieder aneinandergehängte Wagen sind.
    »Sie spielen da unten die Herren, die Geisteskräfte«, sagte die Eisjungfrau. »Aber die Kräfte der Naturgewalten sind ihnen doch überlegen!« Und sie lachte, sie sang, es dröhnte im Tal.
    »Jetzt ist eine Lawine niedergegangen«, sagten die Menschen dort unten.
    Aber noch lauter sangen die Kinder der Sonne vom Menschen gedanken , der bestimmt und das Meer unters Joch zwingt, Berge versetzt und Täler ausfüllt; vom Menschengedanken, der Herr über die Naturkräfte ist.
    Gerade zu der Zeit, als die Eisjungfrau dort saß, kam über das Schneefeld eine Gesellschaft von Reisenden gezogen. Sie hatten sich mit Seilen aneinandergebunden, um auf der glatten Eisfläche, an den tiefen Abgründen gleichsam einen größeren Körper zu bilden.
    »Gewürm!« sagte die Eisjungfrau. »Ihr also wollt Herren über die Naturgewalt sein!« Und sie wandte sich von ihnen ab und warf einen spöttischen Blick in das tiefe Tal, wo der Eisenbahnzug vorüberbrauste.
    »Da sitzen sie, diese Gedanken! Sie sind den Naturkräften ausgeliefert. Jeden einzelnen kann ich sehen. – Einer sitzt stolz wie ein König – allein; dort sitzen sie in einem ganzen Haufen, dort schläft die Hälfte; und wenn der Dampfdrache anhält, steigen sie aus und gehen davon. Die Gedanken gehen in die Welt hinaus!« Und sie lachte.
    »Da ist wieder eine Lawine niedergegangen«, sagten die Leute im Tal.
    »Bis zu uns kommt sie nicht«, sagten zwei, die auf dem Rücken des Dampfdrachens saßen, ›zwei Seelen und ein Gedanke‹, wie es heißt. Es waren Rudy und Babette, und der Müller war auch dabei.
    »Als Gepäck!« sagte er. »Mich haben sie als notwendiges Übel mitgenommen.«
    »Dort sitzen die beiden«, sagte die Eisjungfrau. »So manche Gemse habe ich erschlagen, Millionen von Alpenrosen habe ich geknickt und gebrochen, mit Stumpf und Stiel vernichtet. Ich lösche sie aus! Die Gedanken! Die Geisteskräfte!« Und sie lachte.
    »Jetzt ist wieder eine Lawine niedergegangen«, sagten die Leute im Tal.

X. Die Patin
    I n der nahen Stadt Montreux, die mit Clarens, Vernex und Crin eine Girlande um den nordöstlichen Teil des Genfersees bildet, wohnte Babettes Patin, die vornehme englische Dame. Sie war vor kurzem mit ihren Töchtern und einem jungen Vetter dort eingetroffen, doch der Müller hatte bereits seine Visite gemacht, Babettes Verlobung vermeldet und von Rudy und dem Adlerjungen, vom Besuch in Interlaken, kurzum, die ganze Geschichte erzählt. Das hatte die Tante im höchsten Grade erfreut und für Rudy und für Babette und auch für den Müller eingenommen; sie mußten alle drei unbedingt zu ihr kommen, und deshalb kamen sie nun. – Babette sollte ihre Patin, die Patin sollte Babette sehen.
    Das Dampfschiff, das von dem kleinen Ort Villeneuve am Ende des Genfersees abfährt, erreicht in einer halben Stunde Vernex, in unmittelbarer Nähe von Montreux. Diese Küste haben Dichter besungen; hier saß Byron unter Walnußbäumen am tiefen blaugrünen See und schrieb seine melodischen Verse über den Gefangenen im düstren Felsenschloß Chillon. Wo sich Clarens mit seinen Trauerweiden im Wasser spiegelt, wandelte Rousseau und träumte von Heloise. Unter Savoyens hohen,

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