Weihnachten mit Maigret
holen lassen, und als er an den Apparat kam, war niemand mehr am anderen Ende der Leitung. Das hat ihm den Abend verdorben. Ein paar Handelsvertreter hatten einen Ausflug in irgendein Nachtlokal der Stadt organisiert. Es sollen auch einige hübsche Mädchen dabei gewesen sein. Martin hatte, um mit den anderen mitzuhalten, ein paar Gläser getrunken und sprach anscheinend die ganze Zeit von seiner Frau und seiner Tochter, denn die Kleine ist für ihn wie seine Tochter. Dennoch ist er mit seinen Freunden bis drei Uhr morgens weggeblieben. Ist das alles, was Sie wissen wollten, Chef?«
Lucas konnte nicht umhin, neugierig hinzuzufügen:
»Ist in Ihrem Viertel ein Verbrechen passiert? Sind Sie noch zu Hause?«
»Bis jetzt ist es nur eine Geschichte vom Weihnachtsmann und von einer Puppe.«
»Ach!«
»Einen Augenblick noch. Könntest du versuchen, die Adresse des Direktors der Firma Zenith in der Avenue de l’Opéra zu bekommen? So etwas muss auch an einem Feiertag möglich sein, und außerdem kann man annehmen, dass er bei sich zu Hause ist. Rufst du zurück?«
»Sobald ich es herausbekommen habe.«
Madame Maigret brachte ihm einen Schlehenschnaps, den ihre Schwester ihr von Zeit zu Zeit aus dem Elsass schickte; er lächelte ihr zu und war für einen Augenblick versucht, nicht mehr an diese alberne Geschichte zu denken und vorzuschlagen, den Nachmittag ganz ungestört im Kino zu verbringen.
»Welche Farbe haben ihre Augen?«
Er musste sich bemühen, um zu verstehen, dass sie das kleine Mädchen meinte, welches das einzige war, was Madame Maigret an dem Fall interessierte.
»Mein Gott, das könnte ich noch nicht einmal sagen. Braun sind sie sicher nicht. Sie hat blonde Haare.«
»Nun, dann sind sie blau.«
»Vielleicht. Sehr hell jedenfalls. Und ganz besonders still.«
»Weil sie die Dinge nicht so wie ein Kind betrachtet. Hat sie gelacht?«
»Sie hatte keine Gelegenheit dazu.«
»Ein richtiges Kind findet immer einen Anlass zum Lachen. Es genügt, wenn es Zutrauen gefasst hat und wenn man es in seiner Welt lässt. Ich mag diese Frau nicht.«
»Ist dir Mademoiselle Doncœur lieber?«
»Sie ist zwar eine alte Jungfer, aber ich bin sicher, dass sie besser mit der Kleinen umgehen kann als diese Madame Martin. Sie ist mir beim Einkaufen begegnet. Sie gehört zu den Frauen, die beim Auswiegen aufpassen und mit misstrauischem Blick das Geld Stück für Stück aus dem Portemonnaie nehmen, als wenn alle Welt versuchen würde, sie zu betrügen.«
Sie wurde vom Läuten des Telefons unterbrochen, fand aber noch die Zeit, zu wiederholen:
»Ich mag diese Frau nicht.«
Es war Lucas, der die Adresse von Monsieur Arthur Godefroy, Generalvertreter von Zenith-Uhren in Frankreich, durchgab. Er wohnte in einer großen Villa in Saint-Cloud, und Lucas hatte sich vergewissert, dass er zu Hause war.
»Paul Martin ist hier, Chef.«
»Hat man ihn zu dir gebracht?«
»Ja. Er fragt sich, warum. Warten Sie, ich schließe die Tür. So! Jetzt kann er mich nicht mehr hören. Zuerst dachte er, seiner Tochter wäre irgendetwas zugestoßen, und er fing an zu weinen. Jetzt ist er wieder ruhig und hat einen fürchterlichen Kater. Was mache ich mit ihm? Soll ich ihn zu Ihnen schicken?«
»Kann ihn jemand zu mir begleiten?«
»Torrence ist gerade gekommen und wird nichts lieber tun, als etwas frische Luft zu schnappen. Ich glaube, auch er hat heute Nacht tüchtig gefeiert. Brauchen Sie mich noch?«
»Ja. Setz dich mit dem Kommissariat im Palais-Royal in Verbindung. Vor ungefähr fünf Jahren ist ein gewisser Lorilleux spurlos verschwunden. Er hatte ein Geschäft, in dem er mit Schmuck und alten Münzen handelte. Ich möchte alle greifbaren Einzelheiten über diesen Fall wissen.«
Als Maigret seine Frau sah, die ihm gegenübersaß und zu stricken begonnen hatte, musste er lächeln. Diese Untersuchung spielte sich wirklich unter denkbar familiären Vorzeichen ab.
»Soll ich zurückrufen?«
»Ja. Ich werde wohl kaum Weggehen.«
Fünf Minuten später hatte er Monsieur Godefroy am Apparat, der mit einem sehr ausgeprägten Schweizer Akzent sprach. Als von Jean Martin die Rede war, dachte er zuerst, dass seinem Handelsvertreter etwas zugestoßen sei, da man ihn an einem Weihnachtstag störte, und er erging sich in herzlichen Lobesreden über ihn.
»Er ist ein so aufopfernder und fähiger junger Mann, dass ich ihn im nächsten Jahr, das heißt also in zwei Wochen, als Stellvertretenden Direktor bei mir hier in Paris behalten will. Kennen
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