Weihnachten mit Maigret
als diese. Die Rahmen der Fotos von Vater und Mutter Martin glichen haargenau den Rahmen der Fotos von Maigrets Eltern, und die Vergrößerungen stammten vermutlich aus demselben Fotolabor.
War es das, was ihn störte? Es schien ihm, als fehle ihm der Abstand zu den Menschen und den Dingen, als betrachte er sie nicht kühl, nicht unbelastet genug.
Er hatte seiner Frau während des Essens - eines guten Festessens, das ihn träge gemacht hatte - von seinen morgendlichen Gesprächen berichtet, und sie hatte, peinlich berührt, unaufhörlich zu den Fenstern gegenüber hingeschaut.
»Ist die Concierge sicher, dass niemand von draußen hereinkommen konnte?«
»Sie ist sich dessen nicht mehr ganz so sicher. Sie hatte bis halb eins Besuch von Freunden. Danach ist sie schlafen gegangen, und es sind viele Leute ein und aus gegangen, wie in jeder Weihnachtsnacht.«
»Glaubst du, dass noch etwas passieren wird?«
Diese kleine Bemerkung ließ ihn nicht los. Zunächst einmal hatte Madame Martin ihn nicht von sich aus, sondern auf Drängen von Mademoiselle Doncœur hin aufgesucht.
Wäre sie früher aufgestanden und hätte sie als erste die Puppe entdeckt und die Geschichte vom Weihnachtsmann gehört, hätte sie dann nicht Stillschweigen bewahrt und dem Mädchen befohlen, ebenfalls den Mund zu halten?
Dann hatte sie die erstbeste Gelegenheit wahrgenommen, um wegzugehen, obwohl sie noch genug Lebensmittel für den Tag im Hause hatte. Zerstreut, wie sie war, hatte sie sogar Butter eingekauft, obwohl noch ein Pfund im Vorratsschrank war.
Er stand auf, setzte sich in seinen Sessel neben dem Fenster und hob den Telefonhörer ab, um den Quai des Orfevres anzurufen.
»Lucas?«
»Ich habe getan, worum Sie mich gebeten haben, Chef, und habe hier die Liste aller Häftlinge, die in den letzten vier Monaten freigelassen worden sind. Es sind nicht so viele, wie man meinen könnte. Soweit ich sehe, ist keiner dabei, der zu irgendeinem Zeitpunkt am Boulevard Richard-Lenoir gewohnt hat.«
Das war jetzt nicht mehr wichtig. Maigret hatte diese Vermutung fast schon wieder fallengelassen. Im Übrigen war das nur so eine Idee gewesen. Jemand, der in der Wohnung gegenüber gewohnt hatte, hätte dort die Beute eines Diebstahls oder eines anderen Verbrechens verstecken können, bevor er geschnappt worden war.
Wieder auf freiem Fuß, wäre es natürlich seine erste Sorge gewesen, den Schatz wieder in seinen Besitz zu bringen. Nun musste aber Colette aufgrund ihres Unfalls ständig im Bett bleiben, und so war das Zimmer zu keiner Tages- oder Nachtzeit leer.
Es wäre gar nicht so dumm gewesen, den Weihnachtsmann zu spielen und so fast gefahrlos in das Zimmer zu gelangen.
In diesem Fall hätte Madame Martin jedoch nicht gezögert, ihn aufzusuchen. Auch hätte sie dann nicht unter einem Vorwand das Haus verlassen.
»Soll ich jeden Fall einzeln untersuchen?«
»Nein. Hast du etwas von Paul Martin gehört?«
»Das war nicht schwer. Er ist auf wenigstens vier oder fünf Polizeirevieren zwischen der Bastille, dem Rathaus und dem Boulevard Saint-Michel bekannt.«
»Weißt du, was er heute Nacht gemacht hat?«
»Zuerst hat er auf dem Schiff der Heilsarmee gegessen. Wie alle Stammgäste geht er jede Woche an einem bestimmten Tag dahin, und an diesen Abenden ist er nüchtern. Man hat ihnen ein kleines Festessen gegeben, wofür sie ziemlich lange Schlange stehen mussten.«
»Und dann?«
»Gegen elf Uhr abends ist er ins Quartier Latin gegangen und hat vor einem Nachtlokal den Leuten die Wagentür geöffnet. Er muss genug Geld bekommen haben, um zu trinken, denn um vier Uhr morgens hat man ihn, hundert Meter von der Place Maubert entfernt, total betrunken aufgelesen und aufs Revier mitgenommen. Heute Morgen um elf Uhr war er immer noch dort. Er war gerade weggegangen, als ich die Auskunft bekam, und man hat mir versprochen, ihn herzubringen, sobald man ihn aufgreifen würde. Er hatte noch ein paar Franc in der Tasche.«
»Und was ist mit Bergerac?«
Jean Martin nimmt den ersten Nachmittagszug. Er schien ziemlich überrascht und beunruhigt über den Telefonanruf von heute Morgen zu sein.«
»Hat er nur den einen bekommen?«
»Heute Morgen, ja. Aber er ist gestern Abend angerufen worden, als er gerade an der Gästetafel zu Abend aß.«
»Weißt du, wer ihn angerufen hat?«
»Die Hotelangestellte, die das Gespräch angenommen hat, versichert, dass es eine Männerstimme war, die nach Monsieur Jean Martin fragte. Sie hat ihn von einer Kellnerin
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