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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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der Butler und zwei Mitarbeiter zwei riesige Töpfe mit den schon filettierten Turkeys nach unten brachten und im Kofferraum verstauten. Dann brausten wir zurück nach Schwabing, und wenn ich Martinshorn und Signallampe gehabt hätte – sie wären bedenkenlos zum Einsatz gekommen. Die Kurven nahm ich schnittig, soweit das im Stadtverkehr möglich war, ich beschleunigte rasant, ich bremste kurz vor den Ampeln ab. Sodass Francis sich genötigt sah, mich zu warnen: »Nicht so rush , Mr Siebenschon … Sie gefährden die Turkeys !«
    Also drosselte ich meinen fahrstilistischen Enthusiasmus und legte die letzten Meter auf Leopold- und Franz-Joseph-Straße in gemäßigtem Seniorentempo zurück.
    »Wissen Sie was, Mr Fairlie«, sagte ich, als wir die riesigen Töpfe in die Wohnung trugen.
    »Nein, Mr Siebenschon. Was denn?«
    »Sie hatten schon recht mit dem Marshallplan … damals, nach dem Krieg. Immer muss man die hungrigen Deutschen aufpäppeln, daran hat sich nichts geändert, was?«
    »Das waren die Amerikaner. George C. Marshall war amerikanischer Außenminister nach dem Krieg.«
    »Egal«, befand ich. »Es lebe die deutsch-britische Freundschaft!«
    »Ja, sie lebe!«, sagte Mr Francis Fairlie, Außenminister des Perfect Service, Munich, Germany . Er lächelte mich an. Und hatte vergessen zu husten.
    Ich war so froh, dass die Truthahn-Affäre zu einem glücklichen Ende gefunden hatte, dass ich mich, während ich Melodien aus La Bohème pfiff, ins Badezimmer begab, um mich frisch zu machen. Ich musste den Rauch- und Aschegeruch aus meinen Klamotten bekommen, und als es mir selbst durch das Aufsprühen einer halben Flasche Eau de Toilette – meiner Lieblingsmarke 1881 – nicht gelang, mich olfaktorisch zu optimieren, zog ich mich kurzerhand komplett um. Viel Zeit hatte ich nicht … ich musste und wollte Julie vom Hauptbahnhof abholen. In einer ganzen Reihe von Zügen hatte sie keinen Platz mehr reservieren können, aber ich hatte sie ohnehin gebeten, nicht zu früh anzureisen. Eine Stunde vor dem Festbeginn, das schien mir die richtige Zeit zu sein. Dann war alles vorbereitet und gerichtet, so oder so. Es war nur gut, dass Julie durch ihre späte Anreise von den Strapazen der Siebenschönschen Präparationen verschont blieb.
    Ich nahm ein Taxi zum Bahnhof, nicht das von Neureuther – obwohl es mich nicht erstaunt hätte, wenn Taxi-München unseren nun schon fast zur Familie gehörenden Fahrer geschickt hätte. Im Fond des Wagens, der durch die nun schon völlig stillen Straßen glitt, entspannte ich mich. Zum ersten Mal seit Tagen. Es ist alles gelaufen , dachte ich, vielleicht nicht so, wie du es dir ausgemalt hast, aber immerhin . Weihnachten konnte kommen.
    Trotz des unwirtlichen Wetters mit Schnee und Eis stellte der ICE aus Münster einen Pünktlichkeitsrekord auf. Der Zeiger der großen Bahnhofsuhr rückte auf 18.09 Uhr vor, da kam der Zug auf dem Gleis zum Stehen. Die Türen öffneten sich, und Julie stieg gleich als Erste aus dem ersten Wagen. Ich breitete theatralisch meine Arme aus und nahm sie mit einem Kuss in Empfang. Vergrub meine Nase in ihr wunderbar duftendes Haar. Hielt sie lange fest, während all die anderen Fahrgäste mit ihren Koffern und Taschen sich an uns vorbeidrängten. Meine Güte, war ich erleichtert, Julie in den Armen zu halten!
    »Oh, mon petit trésor «, murmelte sie. »Isch bin so froh, disch zu sehen!«
    »Und ich erst … und ich erst.«
    »Ich liebe disch«, sagte sie, und ich trank diese drei Wörter, die das Leben und die Welt bedeuten, wie ein Verdurstender in der Wüste Wasser, das er so lange hat entbehren müssen.
    »Und ich dich …«, sagte ich. »Noch viel mehr!«
    »Nein, ich liebe disch mehr!«
    »Nein, ich liebe dich mehr!«
    Wir lachten. Unser altes Spiel. Es war so schön, es zu spielen, immer und immer wieder. Wir wurden es nie müde.
    Auf der kurzen Rückfahrt gab ich Julie atemlos einen Abriss der Geschehnisse dieses Tages. Sie seufzte mit mir, sie lachte mit mir. Es erschien ihr alles unglaublich, was ich ihr erzählte, wie eine überdrehte Screwball-Comedy aus dem Hollywood der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Und ich fühlte mich ein bisschen wie Cary Grant, der abenteuerliche vierundzwanzig Stunden mit Katharine Hepburn hinter sich gebracht hatte. Sogar der Taxifahrer gluckste.
    Als der Wagen vor dem Haus hielt, drückte ich meine Frau noch einmal fest an mich. Dann zahlte ich, während Julie bereits ausstieg. Sie blickte am Haus mit seinen vielen

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