Weihnachten mit Mama
durchschlagend: Durch diesen Abend sollte Max in die Familie hineinwachsen, möglichst so fest, dass er keinen Ausweg mehr fand, der süßen, aber quecksilbrigen Dorle Siebenschön und ihrer Sippschaft zu entkommen.
Indes: Dorle und Max ließen auf sich warten. Vielleicht planten sie ja einen ganz besonderen Auftritt. Wer dagegen eintraf, wie immer mit großem Trara, war Robert mit seiner Familie. Und dem hechelnden, tänzelnden, alle Anwesenden freudig bespringenden und beschnüffelnden Bruno, der von Mama, die den Hund nicht ausstehen konnte – weil er sie nervöser machte, als sie ohnehin schon war – kurzerhand in einen Raum im hinteren Teil der Wohnung weggesperrt wurde, wo er sich jaulend über sein Schicksal beschwerte. Es war sozusagen strategisch unerlässlich, ihn so weit wie möglich vom Weihnachtsbaum entfernt zu platzieren.
Jovial wie eh und je, allen großspurig zugetan, leicht dröhnend bahnte Robert sich den Weg der Begrüßung durch die bereits Anwesenden. Mir hieb er derart robust auf die Schulter – »Na, großer Bruder, was machen deine kleinen Elfen?« –, dass sich mir der Schmerz in die Knochen grub; er kniff mir sogar in die Wange und tätschelte sie dann wie ein Mafiaboss. Der Pate von Traunstein. Man muss ihn mögen, sonst ist man verloren.
Richtig erfreut war ich, Tina wiederzusehen. Roberts Frau Christina, die in Traunstein ein kleines Programmkino betrieb, mit dem sie eine Auszeichnung des bayerischen Kultusministeriums nach der anderen einheimste. Ihr geschätzter Zigarettenkonsum bewegte sich um zwei Schachteln täglich, und er hatte ihrer Stimme eine aufregende Rauheit gegeben, die ihre Wirkung auf keinen Mann verfehlte. Kaum geringer war ihr Filmkonsum, sie kannte jeden halbwegs ernst zu nehmenden Film jedes halbwegs ernst zu nehmenden Landes. Ihr cineastisches Wissen war legendär. Doch wer erwartete, eine kleine, verhärmte Filmvorführerin von ausgezehrter Statur und mit verkniffenem Lippenpaar anzutreffen, wurde beim Anblick Christinas rasch eines Besseren und Erfreulicheren belehrt. Sie ist das, was man eine Klassefrau nennt – blond, kurvig, aufregend, irgendwo zwischen Cate Blanchett und Angelina Jolie. Sie passt perfekt zu Robert, den ich um sie beneidete, denn mein jüngerer Bruder hatte vor mir geheiratet, als ich noch »auf der Suche« war. Ich war unglaublich lange auf der Suche, ein erotischer Spätzünder, während Robert gleich nach dem Abitur auf Christina traf, sie an sich zog und mit ihr augenblicklich und für immer verschmolz. Ein Powerpaar eben, dessen Power nur noch von ihren beiden Sprösslingen übertroffen wurde, den inzwischen achtjährigen Zwillingen, die Tina – natürlich nach einem Film – Jules und Jim genannt hatte.
Deren erste Wortmeldung war, unisono ausgesprochen: »Wann ist Bescherung?« Diesen Satz sollten wir im Laufe des Abends in schöner Regelmäßigkeit hören, allerdings mit immer dramatischer werdendem Crescendo. Jules und Jim waren die einzigen Kinder auf diesem Fest. Die Siebenschöns waren in meiner Generation keine sonderlich fruchtbare Sippe, sie ließen sich Zeit. Ich war längst »überfällig« und wurde damit entsprechend genervt – Julie hingegen ließ man diesbezüglich in Ruhe, beziehungsweise man unterließ es, sie mit solchen dynastischen Erwartungen zu konfrontieren –, von Laura, der umtriebigen Kosmopolitin, erwartete niemand ein Kind, und Dorle musste erst mal einen Mann finden, der sie wert war, davon waren alle überzeugt. Und überzeugt war ich davon, dass der nichts ahnende Max noch an diesem Abend einige Anspielungen zu hören und entsprechende Seitenhiebe abbekommen würde, und ich hoffte für ihn, er würde sie kalt lächelnd parieren. Mama jedenfalls schien ihn vom ersten Augenblick in ihr Herz geschlossen zu haben – sie hatte ihn, wie sie mir erzählte, mit dem Satz begrüßt: »Herzlich willkommen bei uns – wir sind übrigens gar nicht so schlimm, wie Dorle Ihnen erzählt hat.«
Als Francis, der Butler, seinen Auftritt hatte, wurde ihm heftiger Applaus zuteil. Das war mal eine Überraschung! Mama glühte vor Stolz.
»Junge, Junge, das ist ja’n Ding«, sagte mein Bruder, und mir war nicht klar, wen er mit »Junge, Junge« meinte. »Mama, wir fühlen uns alle mächtig aufgewertet«, dröhnte er und lachte, als habe er einen Witz gemacht.
Die Runde lachte höflich mit, also kaum. Und … ja … Francis servierte mit weißen Handschuhen, er trug sie so selbstverständlich, als habe man sie ihm
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