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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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Versöhnung feiern wollte, an den Tisch, wo Charlotte ihre Mutter mit den in München üblichen Wangenküssen, jedoch etwas unterkühlt begrüßte. Für ihr Comeback in der Familie Siebenschön hatte meine standesbewusste Tante ein für ihr fortgeschrittenes Alter supertailliertes blaues Abendkleid gewählt, und hätte auch Mama ihr Blue-Curaçao-Kleid angezogen, hätten die beiden Schwestern hier ihren Auftritt im Twins-Look gehabt. Damit war Charlotte, wie nicht anders zu erwarten, natürlich völlig overdressed , schließlich war dies hier keine Opernpremiere im Nationaltheater. Sie wirkte wie eine Diva, die sich nach der umjubelten Aufführung noch für einen Augenblick bei der Premierenfeier des Ensembles blicken lässt.
    Sie begrüßte alle mit ihren Wangenküssen, besonders distanziert, wie ich fand, meine Frau Julie, die sie noch gar nicht kannte. » Ah, La Grande Nation!«, sagte sie spitz, als ich die beiden einander vorstellte.
    »Ja, wir sind eine Atommacht«, sagte Julie schlagfertig.
    Ich hatte Charlotte ebenfalls lange Jahre nicht mehr gesehen, sie war nicht einmal zu meiner Hochzeit erschienen. Umso erstaunter war ich, dass ich nicht die geringste Änderung in ihrem Auftreten und in ihrem Wesen feststellen konnte. Sie hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes konserviert, möglicherweise auch eine helfende chirurgische Hand in Anspruch genommen, die ihr zu einer Faltenlosigkeit verholfen hatte, die man gespenstisch nennen konnte. Aber ich will ihr nichts unterstellen, vielleicht hielt sie auch nur die Musik, der sie sich als exklusive Klavierlehrerin höherer Töchter hingab, unter epidermischer Spannung. Jedenfalls blickte sie mich so falten- und humorfrei an, dass ich mich am liebsten weggeduckt hätte. Wie ich es schon als Bub getan hatte, wenn sie mich in den Arm nehmen und mit ihrem Parfüm betäuben und willenlos machen wollte. Was ich stets mit quengelnder Abwehr quittiert hatte.
    Mit wachsamem Adlerblick nahm Charlotte die Tischordnung ins Visier; ein befriedigtes Lächeln huschte über ihre schmalen, altrosa bemalten Lippen, als sie den ihr zugedachten Platz zwischen ihrer Mutter und ihrer Schwester Karin als adäquat qualifizierte.
    Karin hingegen ist unkompliziert. Das Nesthäkchen der Rosner-Sisters. Herzensgut, apfelwangig und von einer besonders lieblichen Rundlichkeit, wie Männer sie mögen. Meine Lieblingstante … na schön, so viele Tanten habe ich ja nicht. Aber Karin ist etwas ganz Besonderes in meinem Herzen. Eine Tante zum Liebhaben, zum Knuddeln, zum Wohlfühlen. Man spürt bei ihr Lebenswärme, sie duftet immer goldig nach Vanille und Zimt. Ich nahm sie vor Tante Charlotte demonstrativ in den Arm und gab ihr ein Bussi, wie es sich für den Lieblingsneffen gehört.
    Es ist offensichtlich, dass ihr hagerer Mann Bernhard ihr von Herzen zugetan, von ihren Geisteskräften jedoch … sagen wir … nicht überzeugt ist. Vielleicht schätzt er an ihr ebenfalls Vanille und Zimt, wer weiß. Doch als Feuilletonredakteur einer Regionalzeitung im Allgäu – ich wusste gar nicht, dass es so etwas gab, sonst wäre das womöglich auch etwas für mich gewesen – hält er sich für intellektuell überlegen. Immer ein bisschen besserwisserisch, jedoch gar nicht mal unsympathisch, wie er seine überragende Bildung bisweilen demonstriert, die in diesem südlichen Zipfel Deutschlands sicherlich nicht das Lebenskolorit ausmacht. Bernhard leidet darunter, dass das kulturelle Leben der Region, in welcher er lebt, sich literarisch in dem Krimihelden Kluftinger zu erschöpfen scheint. Vielleicht tue ich ihm jetzt unrecht, dem kulturellen Leben, nicht der Krimifigur. Bernhard jedenfalls empfindet das so. Kluftinger ist sein Hassobjekt. Er kann sich stundenlang über dessen Beschränktheit echauffieren.
    Am gespanntesten war ich jedoch nicht auf die Onkel und Tanten, die hier sozusagen handverlesen waren und den innersten Kern von Mamas familiärer Welt darstellten. Wirklich gespannt war ich auf Max, den ich noch gar nicht kannte, den mir Mama jedoch als Dorles jüngste »Eroberung« angekündigt hatte, »endlich was Ernstes«. Und da die »Beziehung« ihrer jüngsten Tochter nun schon fast ein halbes Jahr währte und eine gewisse Festigkeit unter Beweis gestellt hatte, der junge Mann Dorle sogar seinen Eltern bereits vorgestellt hatte, war ihm die Ehre zuteilgeworden, am Geburtstagsfest seiner vermutlich künftigen Schwiegermutter teilnehmen zu dürfen. Mamas Kalkül war ebenso durchsichtig wie

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