Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
hatte es da geklopft. Als der Vater die Tür öffnete, wollte er seinen Augen nicht trauen. Schnell trat er ein paar Schritte zurück, denn in der Tür standen das Christkind und der Weihnachtsmann, beide schwer beladen, und baten um Einlaß. Das Christkind war ganz in Weiß gekleidet und trug eine große Kiepe auf dem Rücken. Der Weihnachtsmann schleppte einen riesigen Sack. Schwer atmend setzten sie sich. Wir Kinder rückten noch dichter zusammen, denn nun wurden wir der Reihe nach aufgerufen und mußten unseren Vers aufsagen. Das war ein Stottern und ein Zittern, aber dennoch wurde jeder mit einer großen Tüte voll Keks, Äpfeln, Nüssen und Süßigkeiten belohnt. Voller Respekt setzten wir uns schnell wieder auf unseren Platz. Die Mutter stand ganz ungläubig abseits und weinte still vor sich hin, aber diesmal waren es Freudentränen. Dann mußten auch die Eltern beten und durften dafür den großen Sack und die Kiepe auspacken. Was da alles drin war! Fleisch, Kuchen und Brot für die Feiertage, sogar Zeug für uns Kinder war dabei. Sie hatten an alles gedacht.
Für die heutige Zeit mag es armselig gewesen sein. Für uns war es ein Wunder.
Die Eltern bedankten sich herzlich beim Christkind und beim Weihnachtsmann, denn die wollten weiter. Sie hatten auch einen weiten Weg von uns zurück. Wir wohnten damals in einem kleinen Jagdhaus im Wald, weit weg vom Dorf.
Lange sprachen wir an jenem Abend noch von der Überraschung, dann mußten wir Kinder ins Bett.
Am anderen Morgen, am ersten Weihnachtstag, weckten uns die Eltern. In unserer kleinen Stube stand der schönste Weihnachtsbaum, den ich je sah.
Es folgten noch viele schöne Weihnachtsfeste in all den Jahren danach, aber nicht eines ist mir in meiner Erinnerung so fest erhalten geblieben wie Weihnachten 1948.
Ich weiß heute noch nicht einmal genau, wer das Christkind und der Weihnachtsmann waren. Ich will es auch gar nicht wissen, aber ich bin heute noch von Herzen dankbar für diese Erinnerung.
Manfred Witte
«Ihr habt ja alles»
Aus meinem Bett kann ich direkt in die Festbeleuchtung der Georgstraße sehen. Voriges Jahr hatten sie Trauben von Glühbirnen in die Kastanienbäume gehängt, das sah ganz hübsch aus. Ungewöhnlich, aber ganz hübsch. Dieses Jahr sind es bunte Neonfiguren, Schwäne, Gänse oder was weiß ich. Das sieht aus wie Zirkusreklame, habe ich zu ihm gesagt. Und er darauf: «Weihnachten ist doch sowieso bloß Zirkus, ein einziger Verkaufsrummel. Die Geschäftsleute verdienen sich eine goldene Nase, und dazu Stille Nacht-Heilige Nacht.» — «Na», hab ich zu ihm gesagt, «an dir hat sich noch keiner eine goldene Nase verdient. Vom Schenken hast du noch nie was verstanden.» Und er: «Aber du, was? Alles bloß Bestechungsversuche, damit die Leute dich mögen. Oder glaubst du, daß die Bälger von nebenan deine Plätzchen nötig haben, vollgefressen wie die sind, den ganzen Tag was Süßes im Hals. Und deine Häkeldeckchen, wer will den Krampf überhaupt?» Vielleicht hat er recht. Aber man muß doch mal mit einem Menschen reden können! Was haben er und ich denn noch zu bereden, nach fast fünfzig Ehejahren. Da ist doch alles gesagt. — Nein, schenken hat er noch nie können, dazu hängt er zu sehr am Geld. Für alles ist ihm das Geld zu schade, lieber hortet er es auf der Kasse. Die sollte ihm seine Kontoauszüge nicht so lieblos jeden Monat schicken, sondern als Geschenkpaket zu Weihnachten, alles schön verpackt, am besten jeden verdammten Auszug einzeln in Goldpapier. Sieh mal, Anni, was uns die Kasse heute zum Fest geschickt hat. Früher drückte er mir vor dem Fest einen Hunderter in die Hand: Kauf dir was dafür, und dem Jungen. Was gab es denn schon für die paar Kröten. Wenn ich nicht schon immer vorher was vom Haushaltsgeld zurückgelegt hätte... Aber das durfte er nicht wissen, sonst hätte er mir glatt das Haushaltsgeld gekürzt. — Der Junge hat auch nicht angerufen. Blumen über Fleurop, «Ihr habt ja alles», na, vielleicht stimmt es sogar. Was soll man so alten Leuten denn noch schenken, das lohnt doch nicht mehr. Es fällt bei den Jungen schon schwer, heutzutage. Wenn ich an die überquellenden Spielzeugkisten der beiden Enkel denke. Kassettenrecorder für eine Achtjährige, Unmengen Plastikzeug, da findet ja keine Katze mehr eine Maus. Trotzdem — ich wäre heute gerne dort gewesen. Sie haben da wenigstens einen Baum. Und dann die Freude der Kinder. Auch wenn die ganze Herrlichkeit schon nach einer Stunde in
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