Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
Jüngste im Lager war, wurde ich mit 19 Kameraden zur Nachtschicht eingesetzt, wir mußten mit den polnischen Kumpels die Transportanlagen für den nächsten Tag umbauen. Das war doch nicht so anstrengend wie eine ganze Schicht Kohle schaufeln.
Nun zu meiner eigentlichen Geschichte.
Daß Weihnachten war, merkten wir nur daran, daß nicht gearbeitet wurde und wir an beiden Feiertagen Brot bekamen. Doch schon am nächsten Morgen hieß es Vier-Mann-Kommando. Das waren immer irgendwelche Arbeiten, die zusätzlich zu der normalen Schicht verrichtet werden mußten. Ich war an der Reihe, und so trottete ich mit den anderen dreien zur Wache. Hier wartete schon ein Posten mit Gewehr und Handwagen auf uns. Wir sollten aus dem Zentralmagazin irgendwelche Sachen für die Lagerküche holen. Das Magazin lag in einem Vorort und ungefähr eine Stunde Fußmarsch von unserem Lager entfernt. Doch der Weg war umsonst, denn dort hatte man noch Feiertag. Solche Organisationsfehler waren wir schon gewohnt. Uns war das im Grunde egal, gleichgültig machten wir uns auf den Heimweg, immer die Hauptstraße entlang. Nur der Posten war damit nicht einverstanden und wies uns einen anderen Weg.
Als wir in eine Siedlung kamen, begrüßte unser Bewacher einen Bekannten, der uns seine Tabakschachtel gab, wir sollten uns eine Zigarette drehen und warten. Kurz darauf kam ein kleines Mädchen aus einem Haus gegenüber und fragte den Posten etwas. Als dieser nickte, lief es zurück und kam mit einem Kuchenpaket wieder und gab es uns. Was sie sagte, konnte ich damals noch nicht verstehen. Ehe wir das richtig begriffen hatten, gingen wie auf ein Signal überall Türen und Fenster auf, und wir fingen, wie früher der Leierkastenmann, Päckchen mit Kuchen auf. Unser Handwagen war ganz schön gefüllt, als wir dann weiterzogen.
Es reichte für alle 20 Kumpels unserer Schicht.
Der einzige Kommentar des Postens: «Nun, Weg nix gutt?»
Dies ist ja nun schon lange her, doch an diese kleine Begebenheit, die für uns damals ein so großes Ereignis war, erinnere ich mich noch heute, als wenn es erst vor ein paar Tagen geschehen wäre.
Ingrid Horn
Bescherung auf dem Marktplatz
Der entsetzliche 2. Weltkrieg war im Mai 1945 gerade zu Ende gegangen, und es wurde Weihnachten. Weihnachten 1945. Ganz Deutschland lag in Schutt, Asche und Hoffnungslosigkeit; so auch die norddeutsche Kleinstadt, in der ich geboren wurde und bis dahin aufgewachsen war. Unser ausgebranntes Haus war so notdürftig wiederhergerichtet, daß meine Eltern und ich ein Zimmer unserer Wohnung bewohnen konnten, das heißt, in diesem Zimmer wurde gewohnt, geschlafen und das wenige, das man zugeteilt bekam, auch gekocht. Am Nachmittag dieses Heiligabends ging ich mit meiner Freundin zum Kindergottesdienst in die Kirche. Das war ein Fußweg von ungefähr 20 Minuten durch nachkriegsdunkle Straßen, noch voll von notdürftig beiseitegeräumten Trümmern. In der Kirche war es kalt, aber es brannten einige wenige Kerzen, und es wurden Weihnachtslieder gesungen. Obwohl wir wußten, daß es auch nicht die kleinste Weihnachtsüberraschung geben konnte, verließen wir in zaghafter Weihnachtsstimmung die Kirche. Draußen hatte es inzwischen geschneit, und der Schnee bedeckte barmherzig die arme geschundene Stadt; so auch den kleinen Marktplatz, über den unser Weg nach Hause führte. Seit Tagen hatte sich dort ein armseliger kleiner Weihnachtsmarkt niedergelassen. Zwei oder drei kleine Marktbuden, nur erhellt von nackten Glühbirnen, standen um ein altes Kinderkarussell herum, das aber nun dunkel und verlassen schien. Da es mit keiner Plane abgedeckt war, stiegen wir beide auf ein großes, prächtig geschmücktes Holzpferd, ausgestattet mit richtigem Zaumzeug und Steigbügeln, das wie zum Sprung ansetzend auf der Plattform des Karussells angebracht war. Plötzlich erstrahlten einige bunte Glühbirnen am Karusselldach, die alte Jahrmarktsorgel fing an zu spielen, und das Karussell setzte sich langsam in Bewegung. Wir fielen vor Schreck fast vom Pferd, aber die Freude über diese unerwartete kostenlose Fahrt am Heiligabend bei Schneegestöber überwog. Und da bemerkten wir auch den Besitzer des Karussells, der uns mit dieser Gratisrunde offenbar eine Freude machen wollte. Wir bedankten uns bei dem alten Herrn und wollten gerade gehen, als neben uns ein englischer Jeep hielt mit zwei Besatzungssoldaten darin. Beide strahlten übers ganze Gesicht, sie hatten uns wohl beobachtet.
Vielleicht waren sie selbst
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