Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
Weihnachten war es bei uns immer sehr gemütlich gewesen.
Nun kam das Weihnachtsfest immer näher, das ich allein — getrennt von meiner Familie — mit meinem Mann in der neuen Heimat feiern wollte. In der Adventszeit mußte ich aber schon im stillen an mir arbeiten, um das aufkommende Heimweh zu unterdrücken. Es ging auch gut — bis zum Heiligen Abend.
Wir wohnten damals in einem kleinen Dorf nahe der Kreisstadt. Der Weihnachtsbaum in unserer kleinen Wohnung war schon geschmückt. Die Geschenke der Verwandtschaft, die mit der Post gekommen waren, lagen darunter und sollten am Abend ausgepackt werden. Am Morgen, gegen halb zehn etwa, fuhr mein Mann noch einmal in die Stadt, um die letzten Besorgungen zu machen. In dieser Zeit, in der ich für mich allein war, überfiel mich das Heimweh so stark, daß ich keine Kraft mehr hatte, das Fest allein zu gestalten.
Als mein Mann zurückkam, machte ich ihm den Vorschlag, alles einzupacken und nach Hause zu den Eltern zu fahren. Er überlegte eine Zeit und willigte ein.
Nun begann für meinen Mann und mich der erste gemeinsame Heiligabend. Alles, was wir für das Fest eingekauft hatten, mußte eingepackt werden, denn einen Kühlschrank hatten wir noch nicht. Es mußte schnell gehen. Der nächste erreichbare Zug sollte gegen 14 Uhr von einer Bedarfshaltestelle außerhalb des Dorfes abfahren. Und schnell ging es wirklich. Die notwendigen Kleidungsstücke verschwanden im Koffer, dazu die Geschenke. Die vorbereiteten Leckereien wie Mohn- und Topfkuchen, der schmackhafte Kartoffelsalat kamen in die Einkaufstasche, die Eier und das Suppenhuhn in einen Karton, Brot, Butter und Wurst steckte ich in einen Beutel. Zum Schmieren der Reisebrote war keine Zeit mehr. Voll bepackt, aber glücklich, verließen wir gegen halb zwei Uhr das Haus.
Unser Marsch durch das Dorf löste bei denen, die wir trafen und die um das Haus herum noch Ordnung schufen, Verwunderung aus. Denn wer verreiste hier schon — und dann noch Heiligabend? Aber alle wünschten uns ein frohes Weihnachtsfest, wir ihnen auch, aber besonders ich, denn mein Heimweh war in freudige Erwartung auf ein Wiedersehen mit meiner Familie umgeschlagen.
An der Haltestelle der Bundesbahn waren wir rechtzeitig. Bald jedoch war die Abfahrtszeit überschritten, eine eventuelle Verspätung hatten wir schon eingeräumt, aber der Triebwagen kam nicht. Nahe der Haltestelle gab es zum Glück ein Gasthaus. Von dort aus telefonierte mein Mann zum Bahnhof. Ja, hieß es, der von uns erwartete Schienenbus führe wohl täglich, außer samstags — und Heiligabend rechnete nun einmal als Samstag. Die letzte Verbindung nach Nienburg gäbe es um 16.30 Uhr, und nach Nienburg mußten wir, um den Anschluß an die Hauptstrecke nach Hannover — Hildesheim zu bekommen.
Was nun? Alles abblasen? Wieder zurück durchs Dorf und allen die frühe Rückkehr erklären? Wäre es nach so einer zerschlagenen Vorfreude noch ein fröhliches Weihnachtsfest geworden? — Nein!
Da zu allem Pech die Gaststätte, von der aus wir telefoniert hatten, schloß, standen wir auf der Straße, besser gesagt auf einem Feldweg. Also, nun doch zurück! Nein, da hinten, an der Bundesstraße gelegen, gab es noch ein Gasthaus, und das hatte geöffnet. Hier konnten wir uns nach all den Strapazen, nach den Erwartungen und den zerschlagenen Hoffnungen mit einer kräftigen Hühnerbrühe stärken.
Rechtzeitig brachen wir wiederum auf, und alles verlief fahrplanmäßig: Der Schienenbus kam, wir hatten einen guten Sitzplatz, und bei dem Schaffner lösten wir unsere Fahrkarte. Ja, meinte er, er könne uns aber leider nur einen Fahrschein bis Nienburg, dem Anschlußbahnhof ausstellen. In Nienburg schafften wir es aber bestimmt nicht, eine Karte für die Weiterfahrt zu lösen, da wir nur fünf Minuten Aufenthalt hätten. Auf unsere Erkundigung, ob wir denn wenigstens wieder zurückfahren könnten, bedauerte der gute Mann und sagte, bald so verzweifelt wie wir, der nächste Zug von Nienburg zurück führe erst wieder am 1. Weihnachtstag mittags. So verbrachten wir zwar 1½ Stunden im warmen Zug, aber bangen Herzens, wie es wohl weiterginge. In den Häusern an der Bahn schimmerten bereits die Fenster vom Kerzenlicht der Christbäume.
Endlich kamen wir in Nienburg an. Mein Mann sprang die Treppe zum Bahnsteigtunnel hinunter, hastete den Tunnel entlang zur Schalterhalle — und ich, voller Angst, wir könnten den Wettlauf mit der Zeit doch nicht gewinnen, lief mit dem ganzen Gepäck meinem
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