Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
in diesem Jahr eine Gans bestellt. An den Weihnachtstagen solle es dann einen herrlich schmeckenden Braten mit Rotkraut, Kartoffeln und einer pikanten Soße geben. Die Gans würde vorher sogar noch mit Äpfeln und Rosinen gefüllt, bevor sie in die Bratröhre kommt. Und schließlich gäbe es dann auch noch einen ganz leckeren Nachtisch.
Die sonst übliche Frage, was das denn für eine Nachspeise sei, wurde gar nicht mehr gestellt. Gesprächsthema war nur noch Twachtmanns Gans. Als das «arme», gerupfte Tier am Abend in leblosem Zustand in unser Haus kam und schließlich auf dem Küchentisch lag, wurde es von Annika und Gunnar zunächst sprachlos und aus sicherer Entfernung beäugt. Dann wiederholte sich ihr Protest, diesmal etwas lauter und offensiver. Die dabei gefallenen Worte möchte ich nicht im einzelnen wiedergeben. Auf jeden Fall war unsere vorweihnachtliche Stimmung nachhaltig beeinträchtigt.
«Ihr seid gemein! Das könnt ihr allein essen! Kein Stück fassen wir davon an, wir essen nur Kartoffeln mit Rotkraut. Meinetwegen könnt ihr uns noch ‘ne Bockwurst geben...»
Eines wurde meiner Frau und mir nun schnell klar: Die große Weihnachtsgans würden wir nun wohl allein essen müssen, und das wahrscheinlich über mehrere Tage. Vielleicht könnte man nach dem 3. oder 4. Tag mit Gänsebraten von dem verbleibenden Rest auch Geflügelsalat machen?
Auf jeden Fall wurden am nächsten Tag noch Bockwürste eingekauft, denn ein Festtagsessen so ganz ohne Fleisch wollten wir unseren Kindern nun auch nicht anbieten. Danach wurde in der Küche mit der Zubereitung der Gans begonnen. Die Kinder hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, es wurde gebastelt, und man konnte aus dem hinteren Teil des Hauses auch schon wieder weihnachtliche Musik hören. Bei uns war endlich wieder Ruhe eingekehrt.
Die besagten Rosinen und Äpfel kamen in den Gänsebauch, die Gans wurde zugenäht, Beine und Flügel fest mit Zwirn am Körper zusammengebunden. So richtige Vorfreude auf den Festtagsbraten konnte aber bei meiner Frau und mir nicht aufkommen. Immerhin mußten wir mit weiteren Protesten unserer «lieben Kleinen» rechnen, wenn das arme Tier erst braun und knusprig am Weihnachtstag Mittelpunkt der festlich gedeckten Tafel sein würde.
Plötzlich stand Gunnar in der Tür, sah unsere sorgfältig vorbereitete Weihnachtsgans auf dem Küchentisch, und das blanke Entsetzen war in seinen Augen zu sehen. Dann rief er mit schriller Stimme in den Flur: «Annika! Komm schnell her! Jetzt haben sie die Gans auch noch gefesselt!»
Wie waren wir doch gemein. Das Weihnachtsessen bestand dann, wie von unseren Kindern gewünscht, aus zwei verschiedenen Menüs: Rotkraut, Kartoffeln, Soße, und dann jeweils alternativ entweder mit Bockwurst oder Gänsebraten. Eigentlich schade, daß die Kinder den schönen Braten so absolut ablehnten, denn schließlich gibt es in deutschen Küchen ja auch nicht so häufig solch leckeres Essen. Bei uns übrigens seither nicht mehr, und das ist schon seit vier Jahren. Allerdings waren meine Frau und ich auch nicht bereit, am Weihnachtstag mit den Kindern immer Bockwurst mit Rotkraut und Kartoffeln zu essen...
Christel Sievers
Oskar, der Lebkuchenmann
Es war im Nachkriegsjahr 1947, und es war Weihnachten, als sich sein kurzes Dasein abspielte. Oskar, wie ich ihn liebevoll nannte, war ein Lebkuchenmann und mein ganzes Glück am Heiligen Abend.
Wir waren als Flüchtlinge bei meinen Großeltern untergekommen. In jener schlimmen Zeit fehlte es an allem: an Heizung, Kleidung und Essen. Meine Geschwister und ich waren immer hungrig, und deshalb halfen wir willig, den kargen Speiseplan etwas aufzubessern. Wir gingen auf den abgeernteten Feldern Ähren lesen, klopften und rieben die Körner heraus und mahlten diese auf Großmutters alter Kaffeemühle zu einem groben Mehl. Im Wald sammelten wir Bucheckern und pulten mühevoll die Kerne heraus. Auch sie wurden durch die Kaffeemühle gedreht und ersetzten Fett und Nüsse. Um die Freude vollzumachen, brachte ich im Herbst 1947 sogar etwas Zucker aus der Schule mit nach Hause. Unser Lehrer hatte nämlich eine Besichtigung der Zuckerfabrik organisiert, bei der wir uns am Schluß alle ein bißchen Zucker mitnehmen durften. Leider waren wir darauf nicht vorbereitet und hatten keinen Behälter bei uns. Tüten gab es auch nicht, so daß uns nur unsere Strickmützen blieben, die wir mit dem klebrigen braunen Rohzucker vollstopften. Ich bin mir nicht sicher, was damals bei meiner
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