Adressat sein erstes Paket in Empfang. Doch neben der übergroßen Freude stand eine schmerzliche Enttäuschung: Die willkommenen Gaben waren nicht von der Mutter, nicht von den Geschwistern. Sie kamen vom Evangelischen Hilfswerk aus Erlangen. Weiterhin also Ungewißheit und Bangen um das Schicksal der Lieben.
Der 24. Dezember 1952 war ein Tag mitten in der Woche. Natürlich mußten wir tagsüber na rabota — zur Arbeit — auf die Baustelle. Als wir bei Einbruch der Dunkelheit ins Lager zurückkehrten, rief uns schon am Eingangstor jemand zu, es sei Kartenpost aus der Heimat eingetroffen und verteilt worden. Die frohe Nachricht trieb uns zur Eile. In freudiger Erwartung hasteten wir über die Lagerstraße in unsere Behausungen. Wurde dort doch die Post für uns verwahrt. Der Barackenälteste händigte die angekommenen Karten sogleich aus. Glückliche Gesichter bei den Empfängern. Eine wundersame Bescherung: Post gerade am Heiligen Abend. Das war eine Freude! — Ich ging leer aus. Damit mußte man leben; mal traf es den einen, mal den anderen. — Plötzlich jedoch, völlig überraschend und ganz unerwartet, stürmte Bruno Plauschien durch den Mittelgang der Baracke auf mich zu und schrie erregt, in der Hand eine Postkarte schwenkend: «Sie leben, sie leben! Ich habe Post von der Mutter!» — Der Krieg hatte Mutter und Geschwister aus Ostpreußen in ein kleines holsteinisches Dorf vertrieben. Dort lebten sie nun. Durch den Suchdienst des Roten Kreuzes hatten sie, nach mehr als sieben Jahren, den Sohn und Bruder ausfindig gemacht.
Bruno betrachtete fortwährend die ein wenig ungelenken Zeilen auf seiner Karte. Er war glückselig und in seinen Augen war ein nie gesehener Glanz. Alle, die um sein Schicksal wußten, freuten sich mit dem jungen Kameraden.
An diesem Heiligen Abend 1952 hockten wir noch lange zusammen, erzählten von zu Hause, und in Gedanken waren wir daheim bei unseren Lieben. Bruno saß neben mir. Aller Wirklichkeit entrückt schaute er immer wieder auf die Postkarte in seiner Hand und wiederholte ständig nur den einen Satz: «Das ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk, mein schönstes Weihnachtsgeschenk!»
Ruth Husner
Hansis Weihnachten
Zufrieden und glücklich saßen wir im Weihnachtszimmer — unsere Mutter, meine drei fast erwachsenen Geschwister, sie behaupteten jedenfalls, es zu sein, und ich, das «Kind», gerade acht Jahre alt. Einen Vater gab es in unserer Familie nicht mehr, bei uns sorgte Mutter für alles. So hatte sie auch in diesem Jahr wieder einen Tannenbaum geschmückt, der vom Fußboden bis fast zur Zimmerdecke reichte. Die vielen Kerzen rochen so gut und gaben ein warmes behagliches Licht.
Ich saß auf dem Teppich und zog meiner Puppe das neue Kleid an, das mit anderen Geschenken auf dem Gabentisch gelegen hatte, als unsere Mutter plötzlich sagte: «Hört ihr es auch? Ich meine, es knistert.»
«Nein», sagten meine Geschwister im Chor und sahen von ihren neuen Büchern nicht einmal auf. Diese Frage unserer Mutter wiederholte sich nämlich Jahr für Jahr, wenn die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten. «Doch», sagte Mutter, «doch, es knistert.» Sie sprang von ihrem Sessel auf und schaute hinter den Baum. Dann ergriff sie vorsorglich den Schrubberstiel. Bei uns stand immer neben dem Weihnachtsbaum ein gefüllter Wassereimer und ein Schrubber, an dem ein Schwamm befestigt war. Obwohl die Feuerlöschutensilien von einem großen Tannenzweig verdeckt wurden, machte mich der Wassereimer immer beklommen. (Hoffentlich sagt sie es nicht), dachte ich, doch da kam schon der Satz, der mich noch beklommener machte.
«Ein Weihnachtsbaumbrand kann verheerend sein.»
«Die Kerzen brennen ganz ruhig, Mutti», versuchte mein großer Bruder unsere Mutter zu beschwichtigen, «das Geräusch kommt von Elsa, sie knabbert unentwegt Kekse.»
«Dann müßte es bei uns das ganze Jahr über knistern», mischte sich meine Schwester Christa ein.
«Also bitte, Kinder», mahnte Mutter, «keine spitzen Bemerkungen am Weihnachtsabend.»
Da machte es plötzlich
, und ein Kringel fiel vom Baum. «Oh, lecker, Fondant», sagte Elsa, sie war hurtig aufgesprungen, um sich den Kringel zu ergattern. Für etwas Leckeres bewegte sich meine sonst eher träge Schwester Elsa. Da machte es wieder . Diesmal war ich schneller und holte mir den Kringel.
«Wie eigenartig», wunderte sich unsere Mutter, als der nächste Kringel vom Baum fiel, «es sind die gleichen Konfekthalter wie im vorigen