Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Jahr.»
Eine Weile saßen wir schweigend da und sahen in den Weihnachtsbaum. «Nun ißt Elsa nicht», unterbrach Mutter die Stille, «und trotzdem knistert es.»
«Vielleicht ist es Hansi», meinte Christa, «er knabbert an seinem neuen Hirsekolben, du hast ihm doch einen gegeben?» fragte sie mich.
«Natürlich», sagte ich, «ich vergesse Hansi doch nicht.»
Fünf Köpfe drehten sich zu Hansis Vogelbauer. Der neue Kolben war im Bauer, nur Hansi nicht, das Türchen stand offen. Vier Augenpaare sahen mich vorwurfsvoll an.
«Hansi, wo bist du?» rief Christa. «Wo bist du denn?»
«Wo soll er schon sein», sagte Elsa, «im Weihnachtsbaum und knabbert unsere Kringel.»
«Und die Kerzen brennen», entsetzte sich unsere Mutter, «das arme Tier kann sich die Federn versengen, womöglich den ganzen Baum in Brand setzen.» Resolut griff sie zum Schrubber und tauchte ihn in den Wassereimer.
«Nein!» riefen wir vier, kein Wasser in unseren Weihnachtsbaum.
«Komm, Hansi, komm, komm doch raus, Hansi», lockten wir, während mein Bruder vorsichtig Kerze um Kerze löschte, «komm, Hansi.» Hansi kam nicht.
«Es ist zu dunkel», sagte unsere Mutter und knipste die Deckenlampe an. «Seht ihr ihn jetzt?» fragte sie dann. Eine Weile waren wir durch das helle Licht geblendet, dann sahen wir Hansi. Er saß neben einem Fondantkringel, ein Füßchen hielt geschickt den Konfekthalter, und knabberte lustig drauf los, bis der durchgeknabberte Kringel vom Baum fiel. «Komm, Hansi», lockte mein Bruder erneut und hielt ihm einen Finger entgegen, «komm raus, du Frechdachs.»
«Pa», machte Elsa, «so dumm ist Hansi nicht, der feiert Weihnachten. So gut möchte ich es auch mal haben, rundherum Kringel und fast so groß wie ich selber.»
«Piep», machte Hansi wie zur Bestätigung und hüpfte ein paar Äste höher. Wir standen um den Baum herum und versuchten vergeblich, unseren Hansi herunterzulocken. Er fand es im Weihnachtsbaum schöner und knabberte nun die Zuckerkügelchen von den Schokoladenkränzen ab.
«Langsam müßte Hansi von all dem Zucker Durst haben», sagte Elsa, «ich hole mal sein Wassernäpfchen.»
«Ha», machte mein Bruder, «Elsa kennt sich aus.»
«Bitte, Kinder», wiederholte Mutter, «keine spitzen Bemerkungen am Weihnachtsabend.» Elsa kam mit dem Wassernäpfchen und hatte recht. Hansi sah sein Näpfchen und hüpfte auf den Rand. Geschickt griff Elsa zu und beförderte Hansi und Napf in den Vogelbauer. Erleichtert standen wir vor dem Bauer und sahen Hansi zu. Er trank viel, dann hüpfte er auf seinen Schlafplatz und zupfte sich, bevor er ein Beinchen einzog, etwas Engelshaar aus seinem Gefieder. Hansi zwinkerte uns noch einmal schläfrig an, dann fielen ihm die Äuglein zu.
«Hansi hatte seine Weihnachten», sagte Elsa zu unserer Mutter, «er ist rundherum satt. Bekommen wir jetzt auch was? Es riecht so lecker aus der Küche.»
«O ja», sagte Mutter, «der schöne Braten, den haben wir nach der Aufregung wirklich verdient.»
«Und zünden die Kerzen wieder an?» fragte ich kleinlaut.
«Natürlich, Kind», sagte Mutter und strich mir über das Haar. «Aber neue...»
«Die alten sind schon zu weit heruntergebrannt, sie könnten die Zweige ansengen», ergänzten meine großen Geschwister den Satz und lachten. «Ach ihr», lachte unsere Mutter.
Bernd Wittmaack
Auf hoher See
Der Hamburger Hafen sah im Jahre 1863 so aus, wie man ihn von alten Fotos und Bildern her kennt. Ein Meer von Masten, Rahen und Wanten, soweit das Auge reichte. Tausende von Seeleuten bevölkerten die Stadt und das Umland. Und einer von ihnen war Heinrich Bessen, von dem diese Geschichte erzählt.
Heinrich Bessen war wie viele seiner Berufskollegen bereits als Fünfzehnjähriger mit der Seefahrt als Schiffsjunge angefangen und hatte es nach langen und harten, entbehrungsreichen Jahren zum Steuermann gebracht. Eine viermonatige Liegezeit, die sein Schiff in der Werft verbringen mußte, nutzte er, um seine langjährige Freundin und Verlobte Lina Kalert zu heiraten. Das Glück der beiden Jung vermählten war aber nur von kurzer Dauer, denn die Werftliegezeit war vorbei. Das Vollschiff «Elfrieda» der Reederei August Bolten lag auslaufbereit am Kai zur weiten Reise ums Kap Horn nach Valparaiso.
Der Abschied war um so schmerzlicher für Heinrich Bessen, als seine Lina ihm sagte, daß sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trage.
Die Reise nahm anfangs einen guten Verlauf. Sie hatten nach vierzehn Seetagen den englischen Kanal
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