Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
daß meine Mutter es merkte. Verstohlen nestelte ich an der breiten, straffgespannten Schnalle, die über den Rücken der Tasche lief, immer wieder, bis mir schließlich klar wurde, daß sie fest verschlossen war, richtig mit Schloß und Schlüssel. Seltsam...
Während der ganzen Fahrt mußte ich auf diese Tasche starren. Paß gut darauf auf, hatte mir meine Mutter gesagt, es ist etwas Wichtiges darin. Etwas Wichtiges?... Etwas Wichtiges?
Der Zug jagte heulend durch die Nacht. Es war pechfinster. Nur die weißen Schwaden aus dem Schornstein der Lok huschten gespenstisch am Abteilfenster vorbei. Manchmal stieg mir der Rauch in die Nase, würzig wie das Fernweh selbst, und ich sog ihn gierig ein.
Cuxhaven! Wie hatte ich mich auf diese Reise gefreut! Die Stadt, das Wasser, der Schrei der Möwen, die Alte Liebe mit ihren grünlich-morschen Planken, gegen die unablässig die Wellen klatschten, Onkel und Tante, die sich aufmerksam um mich bemühen würden, die blonden Nachbarskinder.
Und jetzt Weihnachten! Weit weg von den grauen Mauern des Ruhrgebiets, von der Luft, die sich so schwer wie Kohle auf den Atem legte — unter reinliche, rote Dächer, über die der Seewind strich, zu diesen Menschen mit ihrer besonderen Sprache und ihrer bedächtigen, aber herzlichen Freundlichkeit, die ich schon damals zu schätzen wußte. In die rauhe Winterstille des Nordens — und mit einem Rätsel, dessen Hüter ich war.
Wie lange es wohl dauern würde? Das Schwarz der Dunkelheit wich langsam einem tiefen Blau. Aus den fernen Lichtern wurden allmählich Häuser, Laternen, Autos. Wo sind wir jetzt? Endlich - Diepholz. Kurz, wie fragend der Ruf des Bahnbeamten: Diepholz!?
Es klang mir wie Musik in den Ohren, wie ein Echo von Wind und Meer...
Schwer und behäbig ruhte die Tasche im Gepäcknetz, geheimnisvoll und unerreichbar. Etwas Wichtiges? Mir wollte einfach nichts einfallen. Für Onkel und Tante sicher, was sonst? Aber was? Bald würde ich es wissen...
Jetzt sind wir schon in Osterholz. Osterholz-Scharmbeck! Wieder dieser melodische, fast wehmütige Ruf, wie eine Klage aus Fremde und Einsamkeit.
Das Blau hatte sich in eine bleiche Helligkeit verwandelt. Es war Tag, Cuxhaven rückte immer näher. Der Zug durchschnitt die Dörfer, die Felder, kraftvoll, unaufhaltsam. An den Schranken standen Menschen und winkten.
Die Namen der Orte, die wir passierten, klangen immer nördlicher. Und dann tauchte endlich der Wasserturm auf. Hier teilten sich die Schienen, liefen vielstrahlig blitzend auf die Stadt zu, und in den flüchtigen Qualm der Bahn mischte sich zum erstenmal der starke Geruch von Fisch und Fischmehl.
Vergiß deine Tasche nicht! Meine Mutter brauchte es mir nicht zweimal zu sagen. Schon flogen die Türen auf - Cuxhaven! Jetzt nur noch durch die Sperre, die Wandelhalle, dann links in die Wernerstraße bis zum Ostblock. Wieder schleppte ich dieses sperrige Monster, aber gleich wäre es ja überstanden — und das Geheimnis gelüftet.
An der Ecke bei Schuster roch es nach Krabben. Noch ein paar Meter, jetzt die knarrende Holztreppe hoch, klingeln und: Wir sind da!
Es dauerte nicht mehr lange bis zur Bescherung. Bloß diese kleine Ewigkeit, die man fühlt, wenn man erst sieben ist. Endlich öffnete sich die Tür, und ich durfte in die gute Stube. Die Großen standen feierlich in Reih und Glied und blickten mich erwartungsvoll an. Ich sah — und traute meinen Augen nicht: Da war eine Eisenbahn. Ein großes, metallenes Rund mit Lämpchen, Schienen und Weichen, mit einer kurzen Dampflokomotive und unzähligen Güter- und Personenwagen, grünen, blauen, braunen und gelben — was das Herz nur begehrt. Und daneben — ich sehe es noch genau vor mir — ein wenig drohend der massige, schwarze Leib eines Transformators.
Meine erste Eisenbahn! Ich war wie verzaubert. Ich hatte nur noch Augen für dieses Weihnachtswunderwerk, das so schön und verlockend vor mir stand wie ein Traum und doch wirklich und wahrhaftig war, so wirklich wie die Lichter, die vom Christbaum strahlten.
Und die Tasche? Ich hatte sie völlig vergessen. Sie muß in irgendeiner Ecke gelegen haben, kläglich, unnütz — und viel zu leicht ohne ihr schönes Geheimnis...
Ingrid Stielau
Weihnachten — was ist das schon?
«Dreimal werden wir noch wach...» trällerte ich in Erinnerung an längst vergangene Weihnachten. Die Melodie ging mir nicht aus dem Sinn, während ich Vorbereitungen für die kommenden Feiertage traf. Wie freute ich mich auf das Fest!
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