Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
nächste See wusch das Rettungsboot über Bord und donnerte mit voller Gewalt in die aufgebrochenen Lukendeckel. Die Mastspitzen berührten die hochgehende See, die das Schiff in wenigen Minuten verschlang.
An diesem Heiligen Abend 1863, an dem der Steuermann Heinrich Bessen in der aufgewühlten See um sein Leben kämpfte, wurde in Hamburg ein Kind geboren. Hatte jemand sein abwechselndes Fluchen und Beten bei dem Kampf um sein Leben gehört?
Die Antwort darauf werden wir nie erfahren. Zwei Tage später wurde der halb ertrunkene Heinrich Bessen als einziger Überlebender aus der See gefischt. Ein vorbeikommender Segler hatte sein Rufen und Winken gehört. Zwei Monate später schloß er glücklich seine Frau und den lütten Stammhalter in die Arme.
Sanaa Baghdadi Biank
Kulturmißverständnisse oder Vorurteile???
Beinahe hätte ich geheult, als Helmut mich fragte: «Sag mal, was hast du mir geschenkt, ist das eine Opiumpfeife?»
Ich fühlte mich so tief gekränkt. Da ich meine Leute in Ägypten angerufen und sie darum gebeten hatte, mir diesen Talisman zu besorgen, der Helmut in seinem neuen Lebensjahr Glück bringen sollte. Es hatte mich schon Nerven gekostet, bis diese Frauenfigur, die einen Wasserkrug auf dem Kopf trägt und in meiner Heimat als Symbol des Glücks gilt, endlich in meinen Händen war, und dann kam die Frage: «Ist das eine Opiumpfeife?»
Da habe ich mir geschworen: Nie wieder mache ich einem Deutschen ein Geschenk.
Was denken sie eigentlich? Halten sie uns alle für Rauschgiftsüchtige oder Händler? Ach, ich war so enttäuscht!
Am liebsten hätte ich mit keinem oder keiner Deutschen mehr gesprochen. Aber das ging natürlich nicht, wie sollte ich das vermeiden. Und außerdem mag ich eine Reihe von Deutschen, und unter denen habe ich eine Menge Freunde. So bemühte ich mich, den Zwischenfall zu vergessen. Aber ganz aus dem Kopf kam mir die Bemerkung meines damals besten Freundes nicht. Und dann kam es wieder zu einem Mißverständnis, wenn auch ganz anderer Art.
Es war am Nikolaustag. Als ich nach Hause kam, fand ich an meiner Türklinke viele kleine eingewickelte Dinge, mit farbigen Bändchen umbunden. Ich ahnte, wer mir diese Überraschung machen wollte, und freute mich sehr über die kleinen, süßen Dinge, die mit Liebe und Geduld eingepackt waren.
Das konnte nur Melie gewesen sein, meine beste Freundin.
Ich wickelte neugierig die kleinen Geschenke aus und dachte mir:
In den Päckchen waren Schokolade und eine Nikolausfigur. Als ich das Papier wegräumen wollte, klingelte das Telefon. Es war Melie, die mich fröhlich begrüßte und fragte: «Na, hast du den Kalender bekommen?»
«Welchen Kalender?» fragte ich erstaunt zurück.
«Den Weihnachtskalender!»
«Nein, einen Weihnachtskalender habe ich nicht bekommen, aber viele kleine Päckchen, sag mal wie lange hast du gebraucht, um die alle einzupacken?»
«Hast du sie etwa alle ausgepackt?»
Ich spürte Melies Enttäuschung, als ich ihre Frage bejahte... Ich merkte, daß ich was Falsches gemacht hatte.
Ich wußte nicht, daß es ein Weihnachtskalender sein sollte; in meiner Heimat kannte ich so was nicht. Ich versuchte, mich bei Melie zu entschuldigen, aber es war zu spät. Und als ich den Hörer auflegte, dachte ich an meine Reaktion damals, als ich Helmut etwas schenkte.
Also, das sind die Mißverständnisse, die im Grunde nur auf den fremden Kulturkreis zurückzuführen sind, uns aber einander nicht näherkommen lassen, dachte ich.
Reiner Schrader
Weihnachtsfahrt mit der Eisenbahn
Wir mußten früh aufstehen, um den Zug nach Cuxhaven zu erreichen. Es war noch Nacht, als meine Mutter mich weckte. «Komm, es ist soweit.» Ich zog mich schnell an, wegen der Kälte und wegen der Aufregung. Die Sachen standen schon bereit, wir hatten nicht mehr viel Zeit. Meine Mutter schnappte sich den großen Koffer, ich mußte die Tasche tragen.
Ich hatte gleich das Gefühl, daß damit was nicht stimmte. Eine dicke, dunkle Ledertasche. Keine Reisetasche, eher ein unförmiger, aus den Fugen geratener Aktenkoffer. Und schwer, viel zu schwer für eine Reise, dachte ich. Was da wohl drin sei, fragte ich neugierig. Aber ich bekam nur eine ausweichende Antwort.
Ich schleppte das Ding tapfer zum Bahnhof. Aber es ließ mir keine Ruhe: Warum sagte sie es mir nicht? Vielleicht konnte ich einen Blick riskieren, heimlich, ohne
Weitere Kostenlose Bücher