Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
überreichte ihr den Ausweis mit der Bemerkung: «Hier Ihr Ausweis. Ich hab ihn gestern noch unter einem Sitz gefunden.»
Ich spitzte die Ohren, um ja die Antwort nicht zu verpassen. «Oh, danke. Der gehört meiner Zwillingsschwester Susanne. Sie erzählte mir gestern aufgeregt, daß sie den Personalausweis verloren hätte, und ihr Freund macht ihr Vorwürfe deswegen.»
Petra guckte Peer sehr lieb an und meinte verschmitzt: «Meine Schwester und ich machen im Wechsel alle zwei Tage Dienst, müssen Sie wissen.»
Das war also die Lösung! Zwillingsschwestern und beide im gleichen Krankenhaus! Da gab es bestimmt oft ein fröhliches Raten.
Nun wurde es aber Zeit, daß ich abfuhr.
Wenn ich einen Blick in den Rückspiegel warf, sah ich, daß Peer und Petra jetzt eng zusammensaßen und sich lebhaft unterhielten.
Die Haltestelle beim Krankenhaus rief ich besonders laut aus. Meine jungen Freunde fuhren hoch und... stiegen beide aus. Hand in Hand gingen sie davon.
«Frohe Weihnachten», wünschte ich in Gedanken, denn morgen war Heiligabend.
Helmut Steinert
Ein Wintermärchen
Es gibt Sachen, die gibt es schon lange nicht mehr. Manchmal erscheint es uns wie ein Märchen. Diese Geschichte ist eine Kindheitserinnerung und geschah einst injauer in Schlesien. Jauer ist eine Kreisstadt mit etwa zwanzigtausend Einwohnern. Diese schöne, alte Stadt liegt am Fuß der Vorberge des Riesengebirges an der Wütenden Neiße, inmitten von Wiesen und Feldern, umkränzt von Höhenzügen und überragt von grauen Türmen, den Zeugen längst vergangener Zeiten.
Großvater hatte in Moisdorf ein kleines Landhaus erworben. Unsere Familie hielt sich des öfteren im Jahr hier auf. Der besondere Reiz für uns Kinder war der an das Grundstück grenzende Hochwald mit einem Wasserfall, an dem wir besonders gern spielten.
Es war Heiligabend; in der Nacht zuvor war Schnee gefallen, dann hatte es gefroren. Nach dem gemeinsamen Frühstück zog Mutter uns Kinder wärmer an als sonst: die bunten Pudelmützen, dazu die passenden Wollschals und dicke Fäustlinge, alles aus eigener Fertigung.
Heute sollte es für uns Kinder eine große Überraschung geben. Der Vater hatte einen Pferdeschlitten zur Ausfahrt bestellt. Mutter war gerade mit dem Anziehen fertig, als vor unserem Haus Schellengeläut ertönte. Wir stürzten ans Fenster und drückten unsere Nasen an die mit Eisblumen überzogenen Scheiben. Um richtig sehen zu können, mußten wir erst einmal kräftig gegen das Fensterglas hauchen. Langsam konnten wir das Grau durchschauen. Da sahen wir die Pferdeschlitten. Der erste Schlitten mit den Rappen, sollte uns zu einer Schlittenfahrt aufnehmen. Als Vater uns aufforderte, nach draußen zu gehen und einzusteigen, war unsere Freude unbeschreiblich.
Mutter packte uns in Fellsäcke, in denen noch Wärmflaschen eingelegt waren. Dann ging die Post ab! Der Schlitten glitt sanft bergan, wir fuhren in Richtung Poischwitz, über Scheerberg nach Jakobsdorf, Tillebrunn mit Ziel Moisdorf. Unterwegs sahen wir eine verzauberte Landschaft. Dunkel schimmernde Tannenbäume, Hütten, die mit ihren Fensterrahmen und weißen Häubchen den Pfefferkuchen ähnlich schienen oder wie die Herzchenhäuschen in unsern Märchenbüchern aussahen. Die Felder waren mit glitzerndem Weiß überzogen. Meine Schwester rief aus: «Wie Engelshaar, wie das Haar von den Weihnachtsengeln!»
Gegen Mittag erreichten wir Moisdorf. Es gab die «Jauerschen Würstel» mit Sauerkraut als Mittagsmahl. Dann machten wir einen Spaziergang in den Hochwald. Der Futterplatz für das Wild war reichlich mit Heu und Körnerfutter versehen. Viele verschiedene Tiere mußten bereits hier gewesen sein. An den Spuren im Schnee versuchten wir die Wildart zu enträtseln. Nach unserer Spurenauswertung mußten Rehe, Hasen und Rebhühner hier gespeist haben. Manchmal glaubten wir sie in unserer Nähe und meinten, gleich müßte ein Reh hinter dem nächsten Baum hervortreten. Wir Kinder legten noch einige der mitgebrachten Wurzeln und ein paar Heubüschel in die Futterraufe. Für die Rebhühner und Fasanen streuten wir Maiskörner aus. Mit einem Weihnachtsgruß an die Tiere des Waldes stapften wir weiter. Bis zum Futterplatz war der Weg noch ausgetreten, nun mußten die Großen erst einen Weg bahnen. So kamen wir nach einigen Mühen zum Wasserfall. Das langsam fließende Wasser war zu bizarren Eiszapfen gefroren. Mit den verschieden großen Eiszapfen sah der Wasserfall wie eine Kirchenorgel aus. Durch die
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