Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
musste die Fahrrinne nach Sandhamn offen halten. Die raue Eisdecke hatte Fußwege um die Inseln herum geschaffen, und es sah aus, als würden die Bootsstege auf dem Eis liegen. Überall hingen glitzernde Eisgebilde an Geländern und Pfählen.
Die Jungs hatten einen Bekannten getroffen und spielten begeistert mit seinem Hund, deshalb saß sie allein am Tisch.
Trübsinn überfiel sie.
Alleinerziehende Mutter, pochte es in ihr. Alleinerziehende Mutter. Scheidung. Sorgerechtsstreit. Haushaltsteilung.
Die juristischen Begriffe wirbelten durch ihren Kopf. Heimlich beobachtete sie die anderen Passagiere. Ihr war, als könnten die Mitreisenden ihr ansehen, dass sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Dass ihre Ehe gescheitert war und die Familie auseinanderbrach. Ihre Söhne würden zwischen zwei Haushalten pendeln. Würden ihre kleinen Taschen packen und Pyjamas an verschiedenen Orten haben. Und nirgends zu Hause sein.
Sie fühlte sich einsam und ausgeliefert, und sie schämte sich, obwohl sie wusste, dass sie sich für nichts zu schämen brauchte. Es war ja wohl kaum ihr Fehler, dass ihr Mann sie mit einer anderen Frau betrog. Trotzdem nagte ein Schuldgefühl in ihr, seit sie am Morgen aufgewacht war. Sie hob die Kaffeetasse an die Lippen, aber ihre Hand zitterte so sehr, dass sie sie wieder absetzen musste.
»Alles okay mit dir?«
Nora zuckte zusammen. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nichts gemerkt hatte. Neben ihrem Tisch stand ein Mann. Sein Gesicht kam ihr bekannt vor, sie wusste nur nicht genau, woher. Aber sie meinte sich zu erinnern, dass er auf Sandhamn wohnte. Er war dunkelhaarig, mit einzelnen grauen Fäden im kurzen Bart.
Unsicher lächelte sie den Mann an, der ihr gegenüber am Tisch Platz nahm.
»Ich wollte nicht stören, aber du hast so traurig ausgesehen.«
Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie nahm sie ganz automatisch.
»Pelle Forsberg. Du bist doch Nora, oder?«
Sie nickte.
»Ich wohne neben den Tennisplätzen. Und du hast ein Haus am Kvarnberget, stimmt’s? Wir waren vor vielen Jahren mal zusammen im Segelcamp, glaube ich.«
Sie nickte wieder. Das war gut möglich, obwohl sie sich im Moment nicht daran erinnerte.
»Ist was passiert?«
Nora konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Je mehr sie versuchte, sie wegzuzwinkern, desto heftiger strömten sie nach.
»Ach herrje«, sagte Pelle Forsberg und stand wieder auf. Er ging zum Kaffeetresen, holte ein paar Papierservietten und reichte sie ihr. Nora griff dankbar danach und wischte sich die Tränen ab. Dann schnäuzte sie sich kräftig.
»Entschuldige«, murmelte sie. »Du musst ja denken, dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe.«
»Keine Sorge.«
»Mein Mann und ich haben im Moment ziemliche Probleme.«
»Verstehe.«
»Wir lassen uns scheiden.« Jetzt hatte sie es zum ersten Mal gesagt. Sie hasste es, aber die Worte ließen sich immerhin aussprechen.
Er winkte ab. »Ich bin auch geschieden, ich weiß, wie das ist.«
»Ich wollte nicht heulen, aber es ist alles so schwer.«
»Du musst mir nichts erklären.« Er blickte sie freundlich an. »Soll ich dir noch einen Kaffee holen?«
»Danke, das wäre nett.«
Als Pelle Forsberg mit dem Kaffee zurückkam, hatte Nora sich wieder gefasst. Sie putzte sich noch mal die Nase und trank einen Schluck. Ich muss mich zusammenreißen, dachte sie. Ich kann doch nicht hier auf der Fähre sitzen und mir die Augen aus dem Kopf heulen. Wenn die Jungs das sehen.
»Bleibst du über die ganzen Winterferien draußen?«, fragte sie in dem Versuch, ein normales Gespräch zu führen.
Er nickte.
»Ich muss ein paar kleinere Sachen am Haus in Ordnung bringen und dachte, ich nutze die Zeit. Ich bin Mathematiklehrer, habe also die ganze Woche frei.«
»Ach so.«
Pelle Forsberg stand auf.
»Ich will nicht länger stören. Du hast nur so traurig ausgesehen, dass ich einfach fragen musste, ob alles in Ordnung ist.«
»Danke, nett von dir.«
Es knisterte im Lautsprecher, und eine Stimme teilte mit, dass sie Sandhamn in wenigen Minuten erreichen würden. Nora sah aus dem Fenster auf die vertraute Silhouette. Sie fuhren am Fläskberget vorbei und näherten sich dem Kvarnberget, wo ihr eigenes Haus hinter der prächtigen Fassade der Brand’schen Villa auftauchte.
Mit einiger Mühe brachte sie ihre Gesichtszüge in Ordnung, dann packte sie die Sachen zusammen und stand auf, um die Jungs zu holen. Das Schiff würde gleich anlegen. Sie musste auch noch die
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