Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
Arzt. Ein richtiger Fang, wie die kleine Plaudertasche auf der Party es ausgedrückt hatte.
»Jetzt antworte gefälligst!«, schrie Nora. »Was hattest du dir vorgestellt, wie das hier zu Ende geht?«
Ihre Stimme brach. Sie sank auf eine Treppenstufe und begrub das Gesicht in den Händen.
»Du schläfst heute Nacht nicht in unserem Bett, damit das klar ist«, sagte sie nach langem Schweigen. »Du kannst auf dem Sofa schlafen.«
Henrik protestierte nicht. Er sah sie nur resigniert an.
»Glaub mir, es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist. Ich wollte dir nicht wehtun.«
Nora schwieg.
»Morgen fahre ich mit den Jungs nach Sandhamn«, sagte sie schließlich. »Sie haben Winterferien, und ich nehme mir ein paar Tage Urlaub. Wenn wir zurückkommen, möchte ich, dass du ausgezogen bist. Ich will dich hier nicht mehr sehen. Hast du mich verstanden?«
»Du kannst mich doch nicht einfach rauswerfen!« Henrik sah aufrichtig überrascht aus. »Ich habe das Recht, hier zu wohnen. Das ist auch mein Haus.«
»Das Recht hast du dir verscherzt. Du hast hier nichts mehr zu suchen.«
Nora fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum herausbekam, was sie sagen wollte.
»Geh doch zu deiner neuen Freundin, die wird sich bestimmt freuen. Die wartet doch nur darauf, in dein schickes Haus auf Sandhamn zu ziehen.«
Sie holte tief Luft und blickte ihm fest in die Augen.
»Ich will die Scheidung. So schnell wie möglich.«
Sie stieß ein hilfloses kleines Lachen aus. Dann begrub sie das Gesicht wieder in den Händen.
»Geh«, sagte sie erstickt.
»Aber die Jungs, denk doch wenigstens an Adam und Simon.«
»Das musst du gerade sagen. Hast du auch nur ein Mal daran gedacht, dass du eine Familie hast, als du mit diesem Flittchen ins Bett gestiegen bist? Hast du das?«
»Jetzt beruhige dich doch«, sagte Henrik und streckte den Arm nach ihr aus. »Lass uns in Ruhe über alles reden.«
Nora wich zurück.
»Rühr mich nicht an, rühr mich nie wieder an!«
Sie stand auf, öffnete den Garderobenschrank und holte einen Seesack heraus.
»Ich sage den Kindern, dass du Bereitschaftsdienst hast und nicht mit nach Sandhamn kommen kannst. Die haben das schon so oft gehört, dass sie sich nicht wundern werden.«
Sie griff nach einer Reisetasche, ohne ihn anzusehen.
»Sie sind es ja gewohnt, dass ihr Vater keine Zeit für sie hat«, sagte sie in den Raum hinein, so als wäre Henrik nicht anwesend. »Verschwinde.«
Sandhamn 1899
Sandhamn 1899
Die dünnen Lippen öffneten sich und entblößten gelbliche Zähne.
Er sieht aus wie ein Totenschädel, dachte Gottfrid, ohne es zu wollen. Sofort bekam er Schuldgefühle, dass er so über seinen sterbenden Vater dachte. Aber es geschah ihm ganz recht, dem alten Teufel.
Der magere Körper lag von Kissen gestützt im Himmelbett. Die Vorhänge waren zugezogen und das Nachmittagslicht sickerte nur spärlich durchs Fenster. Die Dämmerung im Zimmer vertiefte die Schatten und ließ die Konturen verschwimmen. Die dunklen Ringe unter den Augen des Vaters traten dadurch noch mehr hervor.
Er hatte die Decke bis unters Kinn hochgezogen. Ein Überwurf bedeckte das dicke Federbett, und inmitten der gestickten Blumenranken konnte Gottfrid etwas Rotes, Eingetrocknetes erkennen, das dort nicht hingehörte.
»Komm her.« Der Vater winkte ihn zu sich heran. Sie hatten sein Bett in die Kammer gestellt, damit er seine Ruhe hatte und doch in der Nähe der Küche war, wo sich der Rest der Familie die meiste Zeit aufhielt.
Gottfrid zögerte, wagte aber nicht, sich zu widersetzen. Die Angst in ihm saß tief.
Er scheute den schlechten Atem des Vaters. Der Körper roch faulig, wie Tang, der auf die Klippen gespült worden war und in der Frühlingssonne moderte. Die Mutter hatte Lavendelbeutel ausgelegt, aber sie konnten gegen den üblen Gestank nicht viel ausrichten.
Gottfrid schluckte, um sein Unbehagen nicht zu zeigen. Er war ja elf Jahre alt und kein Kind mehr. Er nahm die Schirmmütze ab und machte einen Schritt in den Raum hinein.
»Komm her«, befahl der Vater noch einmal. Ein Echo seiner früheren Autorität lag immer noch im Raum.
Gottfrid trat ein paar Schritte näher.
Der Vater begann zu husten. Der Husten klang anders, als wenn Gottfrid erkältet war. Er rasselte tief unten in der Brust, und das Geräusch erschreckte Gottfrid. Das bleiche Gesicht des Vaters verfärbte sich bläulich, als er versuchte, Luft in die kranken Lungen zu saugen. Mit der einen
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