Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
Fährtickets kaufen.
Kapitel 6
Sonntag, 24. Februar 2007
Kapitel 6
Nora saß auf der kleinen Glasveranda, die nach Süden hinausging. Sie hatte das Haus vor zehn Jahren von ihren Großeltern mütterlicherseits geerbt. Es lag ganz in der Nähe des Hauses, in dem ihre Eltern wohnten, gleich unterhalb des Kvarnberget. Der Hügel hatte seinen Namen nach der alten Mühle bekommen, die dort gestanden hatte, bis sie in den 1860er-Jahren an einer anderen Stelle neu aufgebaut worden war.
Nora hatte erwogen, zum Sommer in die Brand’sche Villa umzuziehen, aber vorläufig wohnte sie noch in ihrem eigenen Häuschen. Die alte Kaufmannsvilla war für sie immer noch Tante Signes Zuhause, und Nora zögerte, sie in Besitz zu nehmen. Außerdem war es nicht ganz billig, das große Haus mit seinen enormen Fensterflächen und den altersschwachen Radiatoren zu beheizen.
Vor den Fenstern ragten die kahlen Zweige der Fliederhecke in den Himmel. Im Sommer umrahmte ihr üppiges Grün den Garten, aber nun konnte man durch die Büsche hindurchsehen. Trotz des kalten Wetters hatte sie die Jungs nach draußen geschickt, damit sie an die frische Luft kamen. Aber eigentlich war das ein Vorwand. In Wirklichkeit brauchte sie eine Weile für sich. Sie musste in Ruhe nachdenken.
Wider Erwarten hatten die Jungs nicht protestiert. Zum Glück war auch Simons bester Freund Fabian auf der Insel, sie hatten also ganz in der Nähe jemanden zum Spielen.
Ein kleiner Segen in all dem Elend.
Ihre Gedanken kreisten unablässig um Henrik. Hatte sie ihn in die Arme dieser Krankenschwester getrieben? War sie eine so schlechte Ehefrau gewesen, dass er gezwungen war, sich woanders zu vergnügen?
Sie war eisern geblieben, was die Brand’sche Villa betraf, aber konnte ihre Entscheidung, das Haus zu behalten, wirklich dazu geführt haben, dass er ihr untreu wurde?
Vergangenen Sommer hatte ihr Zwist mit einem schrecklichen Streit unten am Steg geendet. Henrik hatte die Beherrschung verloren und sie geschlagen. Direkt ins Gesicht, so hart, dass sie blutete.
Nie, niemals hätte sie gedacht, dass ihr Mann sie schlagen könnte. Henrik hatte sie angebettelt, ihm zu verzeihen, und Nora hatte die Zähne zusammengebissen und versucht, ihre Ehe zu retten, aber etwas in ihrer Beziehung war unwiderruflich zerbrochen.
Um der Kinder willen müssen wir zusammenbleiben, war seitdem wie ihr Mantra, um der Kinder willen.
Aber wenn sie tief in sich hineinhorchte, kämpfte sie wohl doch eher aus eigenem Interesse. Obwohl ihre Beziehung schon seit Längerem nicht mehr funktionierte und obwohl sie sich manchmal fragte, ob sie Henrik überhaupt noch liebte.
Sie hatte sich davor gefürchtet, einsam zu sein, wie sie sich jetzt an diesem nebligen Nachmittag eingestehen musste.
Die Angst, die Familie auseinanderzureißen, saß tief. Einige ihrer Freundinnen waren geschieden, und Nora sah, wie sie kämpften, um ihr Leben zu meistern. Es war nicht leicht, mit all den Anforderungen, die die Schule stellte, mit allem, was an Aktivitäten organisiert werden musste, wenn die Kinder alle zwei Wochen bei einem anderen Elternteil lebten. Außerdem war es schwer, mit dem Geld über die Runden zu kommen.
So hatte sie sich das Umfeld nicht vorgestellt, in dem ihre Jungs heranwachsen sollten. Aber sie war naiv gewesen. Wie hatte sie glauben können, ihre Ehe wäre zu retten? Sie hätte längst aufbegehren müssen. Dagegen, dass Henrik seine Interessen ständig in den Vordergrund rückte und es selbstverständlich fand, dass sie ihre zurückstellte. Dagegen, dass seine Arbeit Vorrang vor allem anderen hatte und sie sich um Kinder und Haushalt kümmerte, obwohl sie genauso wie er voll berufstätig war. Spätestens als immer deutlicher wurde, dass sich ihre Werte und Ansichten voneinander entfernten, hätte sie etwas tun müssen.
Stattdessen hatte sie sich gefügt. Hatte sich untergeordnet und war genügsam geworden. Stück für Stück waren sie in ein Lebensmuster hineingeglitten, in dem sein Wille und seine Interessen ganz selbstverständlich an erster Stelle standen. Warum hatte sie das akzeptiert?
Noras Blick wanderte über die weiße Landschaft vor dem Fenster. In einer Trauerbirke im Nachbargarten zeichneten sich Vogelnester wie dunkle Klumpen vor dem Himmel ab.
Was war das für ein altmodisches Pflichtgefühl, das sie dazu gebracht hatte, so lange bei Henrik zu bleiben? Als sie sich kennenlernten und ein Paar wurden, waren sie einander ebenbürtig gewesen. Zwei Studenten, beide
Weitere Kostenlose Bücher