Weihnachtszauber 02
sagte Ginny, die trotz ihrer warmen Pelisse fröstelte.
„Es ist Weihnachtszeit, da ist es gewöhnlich kalt“, erwiderte Mary lachend. „Lady Amesby wird warmen Apfelwein für uns bereithalten, wenn wir ins Haus zurückkehren.“
Ginny warf Captain Heelis aus dem Augenwinkel einen Blick zu. Er stand ganz oben auf der wackeligen Leiter und warf Mistelzweige zu Boden. „Vielleicht können wir nach alter Tradition einen Kussbogen mit Mistelzweigen aufhängen, so wie in unserer Kindheit. Das hat immer Spaß gemacht.“
„Ich glaube, dein Captain Heelis sammelt genug Mistelzweige für zwanzig solcher Bögen“, antwortete Mary.
„Oh!“ Ginnys Wangen färbten sich blutrot, was ganz bestimmt nicht am kalten Wind lag. „Er ist nicht mein Captain Heelis, Mary. Jedenfalls nicht mehr.“
„Ach wirklich?“ Mary legte sorgfältig einen weiteren Stechpalmenzweig in den Korb und versuchte unbeteiligt zu klingen. Ginny reagierte in letzter Zeit recht empfindlich, und sie fürchtete, sie könnte davonstürzen, wenn man sie zu sehr bedrängte. „Ich dachte, jemand, der bereit ist, mit dir nach Schottland durchzubrennen, um dich zu ehelichen, ist ganz bestimmt der deine. Wenn du ihn noch willst.“
„Wenn ich mir da doch nur sicher wäre“, sagte Ginny leise. „Ich habe mich auf der Reise wie eine dumme Gans benommen. Die Kälte, die Schlägerei in diesem schrecklichen Gasthof – ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu weinen. Ich war mir gewiss, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, so wie du es mir prophezeit hast.“
Mary drückte die Hand ihrer Schwester. „Heißt das etwa, du fühlst keine Zuneigung mehr für Captain Heelis, Ginny?“
„Oh, ich fühle Zuneigung für ihn. Und er empfindet auch tief für mich, das weiß ich.
Er war so fürsorglich, als ich geweint habe. Er hat sich schrecklich elend gefühlt. Aber mir ist eines klar geworden.“
„Und was ist dir klar geworden?“
Ginny zog mit der Stiefelspitze eine Linie über den Boden, wie sie das als Kind schon immer getan hatte, wenn sie eine Strafpredigt erhielt. „Nun, mir ist klar geworden, du hattest recht.“
„Wie bitte?“, rief Mary. „Du lieber Himmel, wird etwa die Welt untergehen? Das kann gewiss die einzige Erklärung dafür sein, dass du mir recht gibst.“
„Oh, Mary, bitte necke mich nicht“, sagte Ginny, aber sie lachte. „Du hattest recht damit, dass ich ohne meine Familie und Freunde und ohne ein richtiges Zuhause nicht glücklich werden könnte. Ich möchte Arthur immer noch ehelichen, aber es soll alles seine Richtigkeit haben.“
„Oh, meine liebe Ginny. Wie erwachsen du klingst.“ Mary küsste ihre Schwester auf die Wange. „Du bist noch so jung, du hast genügend Zeit, dafür zu sorgen, dass alles seine Richtigkeit hat, bevor du eine Entscheidung triffst.“
„Du warst in meinem Alter, als du geheiratet hast.“
„Das war etwas anderes.“
„Oh, ich weiß“, sagte Ginny. „Du musstest für uns alle sorgen.“
Mary blickte Ginny überrascht an. Ihre Schwester war noch ein Kind gewesen, als sie und William heirateten. Gewiss hatte sie damals noch nicht von den Umständen gewusst, unter denen diese Ehe zustande gekommen war, oder doch? „Ich bin keine Maid aus einem Märchen, die sich selbst geopfert hat, um das Dorf vor dem Drachen zu schützen.“
„Nein, Lord Derrington war kein Drache“, sagte Ginny und wandte sich ab, um einen weiteren Zweig abzuschneiden. „Aber er war auch kein angenehmer Gesellschafter.
Ich weiß nicht, ob man jemandem, der kein Interesse für Musik hegt, überhaupt vertrauen kann.“
Musik war nur eines der vielen Dinge, für die William kein Interesse hegte, dachte Mary traurig. Dennoch ... „Er war ein guter Mensch.“
„Gewiss doch.“ Ginny warf eine Handvoll Blätter in den Korb und winkte Captain Heelis zu. Beim Zurückwinken wäre er beinahe von der Leiter gefallen. „Lord Amesby ist sehr attraktiv. Und auch charmant.“
„Ja, das ist er.“
„Und immer noch so schneidig wie damals, als du in meinem Alter warst?“
Bevor Mary auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte, wirbelte Ginny herum und lief zu Captain Heelis, der soeben von seiner Leiter kletterte. Sie hoben die Mistelzweige auf und gingen gemeinsam zurück zum Haus. Mary blieb allein zurück, nur die Stechpalmenzweige leisteten ihr Gesellschaft beim Nachdenken. Immerhin hatte sich Ginny offenbar dazu entschieden, Vernunft walten zu lassen. Welche Entscheidung aber sollte sie treffen? War sie
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