Weihnachtszauber 02
Einladung nach Mulberry Hall erhalten und diese auch angenommen. Um Lady Stanford in ihrem Zustand „freudiger Erwartung“ zu schonen, wollten sie eine gemütliche Viertagesreise unternehmen und bereits am nächsten Tag aufbrechen.
„Sie werden Weihnachten doch hier verbringen, Gideon?“, fragte Amelia unsicher, als er weiterhin beharrlich schwieg.
Auf diese Frage wusste Gray im Augenblick keine Antwort. Ursprünglich hatte er beabsichtigt, die notwendigen Angelegenheiten in Steadley Manor zur regeln, sich zu vergewissern, dass man sich gut um sein Mündel kümmerte, und anschließend nach Mulberry Hall weiterzureisen, um Weihnachten dort zu feiern. Dieser Entschluss war nun aber ins Wanken geraten.
Da offenbar einige der Dienstboten zurückgekehrt waren, konnte er davon ausgehen, dass während seiner Abwesenheit für Amelias Bequemlichkeit gesorgt war. Aber konnte er sie Weihnachten wirklich allein verbringen lassen, nur in Gesellschaft der Bediensteten? Die freundliche, herzensgute Lady Stanford hatte diese Möglichkeit rundheraus abgetan.
Und was hatte sie ihm stattdessen vorgeschlagen?
Er solle Amelia doch einfach nach Mulberry Hall mitnehmen! Das aber kam für ihn überhaupt nicht in Betracht.
„Gideon?“, sagte Amelia in das drückende Schweigen hinein und warf ihm einen forschenden Blick zu. Er sah blendend aus, wie sie erneut feststellte, und ein wohliger Schauer jagte ihr über den Rücken. Er war von solch stattlicher Statur, wirkte geheimnisvoll und verwegen. Sein Haar war vom Wind leicht zerzaust, seine elegante, maßgeschneiderte Kleidung betonte seine breiten Schultern, die schlanken Hüften und die langen, muskulösen Beine.
Elegante, maßgeschneiderte Kleidung, die die Narben auf seiner Brust und seinem Rücken verbarg ... Und natürlich die Bandage über der Schusswunde an seinem Arm, die sie ihm zugefügt hatte.
Er sah sie missbilligend an und kam zielstrebig zu ihr hinüber. „Ich schlage vor, wir besprechen diese Angelegenheit nicht hier in der Halle, sondern im Salon. Dort sind wir ungestört.“
Sein Tonfall gefiel ihr nicht, und ihre Miene wurde ernst, als er ihr die Tür aufhielt, damit sie ihm voran in das blau und cremefarben eingerichtete Zimmer ging. Sie hatte, bevor sie in die Halle getreten war, absichtlich in diesem Raum auf seine Rückkehr gewartet, da sie wusste, die blauen Vorhänge und Polster brachten ihre Augen perfekt zur Geltung. Diese Wirkung schien jedoch im Moment keinerlei Eindruck auf ihren förmlichen, verschlossenen Vormund zu machen.
„Ziehen Sie es vielleicht vor, Weihnachten nicht zu feiern, Gideon?“ Amelia setzte sich auf das blaue Sofa und beugte sich vor, um den Tee einzuschenken. Sie hatte zwei Tassen bereitstellen lassen, in der Hoffnung, er würde rechtzeitig zur Teestunde zurückkehren, um ihr Gesellschaft zu leisten.
Gray hätte es tatsächlich vorgezogen, dieses Weihnachtsfest ausfallen zu lassen. Am liebsten hätte er Weihnachten sogar ganz aus seinem Gedächtnis gestrichen. „Habe ich Sie nicht angewiesen, mich Gray zu nennen?“
Sie machte eine bedauernde Miene und schüttelte den Kopf, dass die blonden Locken über ihre Wangen und den Nacken strichen. „Das erscheint mir zu unpersönlich für unsere besondere Beziehung.“
„Wir stehen in keinerlei Beziehung zueinander!“ Die Hände hinter seinem Rücken verschränkend, blickte Gray sie grimmig an. Als er indes ob seines rüden Tones Tränen in ihren Augen glitzern sah, war ihm plötzlich zumute, als hätte er ein wehrloses Kätzchen getreten. Diese junge Dame war jedoch ganz gewiss nicht wehrlos, hatte sie ihm doch erst einen Abend zuvor in den Arm geschossen.
Sie blinzelte mehrmals, bemüht, die Tränen zurückzuhalten. „Offenbar ist es Ihnen eine Last, mein Vormund zu sein.“
„Das habe ich nicht gesagt, verflixt.“
Sie senkte den Kopf und gewährte ihm so einen Blick auf ihren zarten bleichen Nacken. „Sie haben es auch nicht erst in Worte fassen müssen, Mylord, damit es mir klar wurde“, sagte sie leise.
Gray hätte eine Menge Dinge nicht tun müssen. Vor allem hätte er seinen Ärger über diese schwierige Situation nicht an einer Unschuldigen auslassen dürfen – zumindest war sie unschuldig, was diese Angelegenheit betraf. Amelia hatte schließlich nicht darum gebeten, sein Mündel zu werden. Allein dem Schicksal war es zuschreiben, dass er – wie auch sie – sich in der gegenwärtigen Situation befand. Außerdem konnte Gray nicht mit ansehen, wie die
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