Weil deine Augen ihn nicht sehen
ihre schwarzen Jeans schlüpfte, hielt sie inne. Vor einer Woche war ich in der Einkaufspassage an der Route 7, um die Geburtstagskleider für die Zwillinge zu kaufen, erinnerte sie sich. Bei der Gelegenheit bin ich noch kurz in das Sportgeschäft und hab mir einen neuen Jogginganzug gekauft, einen roten, weil die Zwillinge mein altes rotes Sweatshirt so mochten. Vielleicht lassen die Kidnapper die beiden ja Fernsehen gucken. Vielleicht können sie uns in einer knappen halben Stunde sehen.
»Ich mag Rot, weil es eine fröhliche Farbe ist«, hatte ihr Kelly in feierlichem Ton erklärt.
Für die Mädchen werde ich heute rote Sachen anziehen, dachte Margaret kurz entschlossen und holte den neuen Anzug aus dem Schrank. Rasch schlüpfte sie hinein, während sich ihre Gedanken auf das richteten, was Steve ihr zuvor gesagt hatte. Nach der Sendung sollten sie sich dem Test mit dem Lügendetektor unterziehen. Wie können sie überhaupt auf den Gedanken kommen, ich und Steve hätten etwas damit zu tun, dachte sie. Das ist doch krank.
Nachdem sie ihre Sneaker angezogen hatte, machte sie das Bett und setzte sich auf die Bettkante, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt. Lieber Gott, mach, dass sie gesund wieder nach Hause kommen. Bitte. Bitte.
Sie hatte nicht gemerkt, dass Steve eingetreten war, bis er fragte: »Bist du fertig, Liebling?« Er ging zu ihr, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Dann wanderten seine Finger über ihre Schultern und strichen ihr durch die Haare.
Margaret war nicht entgangen, dass er gestern kurz vor einem Zusammenbruch stand, bevor sie erfahren hatten, dass die Firma das Lösegeld stellen würde. Als sie dann in der
Nacht wach im Bett lag, hatte sie gemeint, er schliefe, doch irgendwann hatte er leise gesagt: »Marg, es ist alles wegen meinem Bruder. Nur deshalb will das FBI den Lügendetektortest. Ich weiß, was diese Leute denken. Dass Richie am Freitag plötzlich nach North Carolina zu Mom gefahren ist, sieht für sie so aus, als ob er sich ein Alibi verschaffen wollte. Schließlich hat er sie bestimmt schon ein Jahr nicht mehr besucht. Und als ich zu Carlson gesagt habe, mir wäre auch schon der Gedanke gekommen, ob nicht die Firma das Lösegeld zahlen könnte, wurde mir sofort klar, dass ich mich damit verdächtig gemacht hatte. Aber das ist schließlich Carlsons Job. Ich will ja selbst, dass er alles und jeden verdächtigt.«
Carlsons Job ist es, meine Kinder zu finden, dachte Margaret, als sie und Steve die Treppe hinuntergingen. Im Eingangsbereich ging sie auf Robinson Geisler zu. »Ich bin Ihnen und Ihrem Unternehmen unendlich dankbar«, sagte sie. Steve öffnete die Haustür und nahm sie bei der Hand, als das Blitzlichtgewitter auf sie niederging. Zusammen mit Geisler gingen sie zu den Tischen und Stühlen, die für das Interview aufgestellt worden waren. Sie war froh, dass Franklin Bailey, der sich als Mittelsmann angeboten hatte, ebenfalls anwesend war. Sie hatte ihn kennen gelernt, als sie auf dem Postamt Briefmarken gekauft hatte. Kelly war ungestüm zur Tür hinausgerannt und wäre fast auf die befahrene Straße geraten, wenn er sie nicht auf dem Gehweg abgefangen hätte.
Es hatte aufgehört zu regnen. Ein Hauch von Frühling lag an diesem Märzmorgen in der Luft. Margaret ließ ihren ausdruckslosen Blick über die versammelten Presseleute, die Polizeibeamten, die die Schaulustigen zurückhielten, und die Reihe der geparkten Medienfahrzeuge schweifen. Sie hatte gehört, dass Menschen, die im Sterben lagen, manchmal das Gefühl hätten, über den realen Dingen zu schweben, mehr Beobachter als Teilnehmer des Geschehens um sie herum zu sein. Sie hörte, wie Robinson Geisler bekräftigte, das Unternehmen werde das Lösegeld zahlen, und wie Steve darauf
drang, sie müssten einen Beweis erhalten, dass die Mädchen am Leben seien, und wie Franklin Bailey sich als Mittelsperson zur Verfügung stellte und langsam seine Telefonnummer diktierte.
»Mrs. Frawley, was ist Ihre größte Sorge, nachdem Sie jetzt wissen, dass die Forderung der Kidnapper erfüllt werden wird?«, fragte jemand.
So eine dumme Frage, dachte Margaret, bevor sie antwortete. »Natürlich ist meine größte Sorge, dass noch irgendetwas schief gehen könnte zwischen der Zahlung des Lösegelds und der Freilassung unserer Kinder. Je länger sich alles hinzieht, desto größer ist die Gefahr, dass etwas passieren könnte. Ich glaube, dass Kathy im Begriff war, sich eine Erkältung zu holen. Sie bekommt ziemlich
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